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Gewaltforscherin: Mehr Schutz für Obdachlose nötig

Gewaltsame Angriffe auf Obdachlose nehmen zu, auch aus der Mitte der Gesellschaft, sagt die Sozialarbeiterin Merle Stöver. Was die Ursachen sind.

Die Gewalt gegen Obdachlose nimmt zu (Archiv)
Die Gewalt gegen Obdachlose nimmt zu (Archiv)Imago / Gottfried Czepluch

Die Sozialarbeiterin Merle Stöver hat mehr Schutz für Obdachlose und wohnungslose Menschen gegen gewaltsame Angriffe gefordert. Notunterkünfte müssten für die Betroffenen rund um die Uhr geöffnet und gut ausgestattet sein, auch müsse die Wohnungslosenhilfe finanziell besser aufgestellt sein, sagte Stöver bei einem Vortrag an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Die Doktorandin forscht am Institut für Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld zum Thema tödliche Gewalt gegen wohnungslose Menschen. Allein im vergangenen Jahr seien in Deutschland etwa 20 wohnungslose oder obdachlose Menschen durch Gewalt gestorben.

Hass, Diskriminierung und auch körperliche und tödliche Gewalt gegen die sozial abgehängte Menschengruppe habe in Deutschland eine lange Geschichte, machte Stöver deutlich, die auch Antisemitismusforscherin und freie Journalistin ist. Höhepunkt sei deren gezielte Verfolgung und Ermordung in der NS-Zeit gewesen. Von 1989 bis heute seien 667 Tötungsdelikte an wohnungslosen Menschen bekannt geworden, die Dunkelziffer liege aber viel höher. Betroffen seien vor allem Männer, in mehr als der Hälfte der Gewalttaten mit Todesfolge seien die Täter selbst obdachlos. Getötete Frauen seien zudem häufig das Opfer von sexualisierter Gewalt. Offizielle Zahlen der Bundesregierung wiesen insgesamt nur 17 Personen als Opfer rechtsextremer Gewalt aus, dies sei „deutlich zu wenig“, sagte Stöver.

Angriff gegen Obdachlose meist von jungen Männern

Ursache für die anhaltende Gewalt gegen obdachlose und wohnungslose Menschen seien „sozialdarwinistische Motive“, die sich auch in der Mitte der Gesellschaft ausbreiteten. Ängste vor dem sozialen Abstieg radikalisierten gerade meist jüngerer Männer. Diese seien oft selbst arbeitslos, hätten keinen Schulabschluss oder Suchtprobleme. Wut und Hass richteten diese meist in Gruppen nun auf die Ärmsten: Obdachlose und wohnungslose Menschen würden entmenschlicht. Gewalt und gar Mord an ihnen werde durch eine „Selbstjustiz“ , gerechtfertigt, sagte Stöver. Täter glaubten, die „Volksgemeinschaft“ vor „asozialen, unproduktiven, wertlosen oder schädlichen“ Menschen schützen zu müssen.

Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei es, für mehr Solidarität und Mitgefühl gegenüber den Betroffenen einzustehen, sagte die Wissenschaftlerin. Jugendliche mit Problemen müssten besser unterstützt werden, um Radikalisierungen zu vermeiden. Wichtig sei es auch, den getöteten Opfern etwa mit Gedenkveranstaltungen oder -orten „ein Gesicht zu geben“, sagte Stöver. Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid und auch dem gewaltsamen Tod von Obdachlosen sei in der Gesellschaft groß.

Die Zahl der Straftaten gegen Obdachlose war auch im vergangenen Jahr weiter gestiegen. 2024 wurden nach Angaben der Bundesregierung deutschlandweit 2.194 Menschen ohne Obdach Opfer einer Straftat, 14 mehr als ein Jahr zuvor.