Der Bremer Pflegeforscher und Gesundheitsökonom Heinz Rothgang plädiert dafür, den aus Kostengründen in die Diskussion geratenen Pflegegrad 1 zu erhalten. Obwohl im niedrigsten von insgesamt fünf Pflegegraden nur ein Entlastungsbetrag von monatlich 131 Euro gezahlt werde, sei er doch wichtig, sagte Rothgang dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Er trägt dazu bei, dass die Empfängerinnen und Empfänger länger in der eigenen Häuslichkeit bleiben können und vermeidet so auch höhere Kosten, wenn sie andernfalls einen höheren Pflegegrad beantragen oder früher in ein Heim ziehen müssten.“ Kürzungen an dieser Stelle träfen außerdem Menschen, „die eine finanzielle Hilfe, sei sie noch so klein, dringend nötig haben.“
Bis zum Jahresende will eine von Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) eingesetzte Bund-Länder-Kommission Eckpunkte für eine nachhaltige Finanzierung der defizitären Pflegeversicherung vorlegen. In diesem Zusammenhang wurde zunächst eine Streichung des Pflegegrades 1 zur Sprache gebracht. Nun wird unter anderem überlegt, den untersten Pflegegrad zu überarbeiten und das Geld erst bei größeren Einschränkungen als bislang zu bewilligen. Zurzeit wird er bei geringen körperlichen, psychischen oder kognitiven Einschränkungen etwa für Hilfen im Haushalt oder für eine Begleitung zum Arzt zugesprochen.
Aber auch eine Anhebung des Schwellenwertes im niedrigsten Pflegegrad hält Rothgang nicht für zielführend, weil er darin keinen relevanten Beitrag zur nachhaltigen Finanzierung der Pflegeversicherung sieht. Tatsächlich sei Spielraum für eine Überarbeitung der Schwellenwerte, dann aber in allen Pflegegraden. Im Vergleich zu den fachlichen Empfehlungen des Beirats zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs seien diese Schwellenwerte im politischen Prozess 2015 nämlich abgesenkt worden, um mehr Menschen in höhere Pflegegrade zu bekommen: „Die Wirkungen dieser Anpassungen können tatsächlich einmal überprüft werden.“
Vor allem aber setzt sich Rothgang in der Debatte um die Pflegeversicherung für einen Perspektivwechsel ein. Schließlich sei klar, dass die Ausgaben für Pflegeleistungen in einer alternden Gesellschaft und steigenden Anforderungen an gute Pflege wachsen müssen. „Es kann also nicht ums ‘Sparen’ gehen, sondern um die Finanzierung des notwendigen Wachstums.“
Der Gesundheitsökonom sieht in diesem Zusammenhang die Zukunft in einer solidarischen Pflegeversicherung mit höherem Leistungsumfang. Rothgang fordert deshalb eine weitreichende Strukturreform und nennt zu deren Finanzierung vor allem drei Optionen. So sollte die Beitragsbemessungsgrenze, bis zu der Beiträge für die Pflegeversicherung fällig sind, angehoben werden. Außerdem sollten alle Einkommensarten zur Finanzierung herangezogen werden, neben dem Arbeitseinkommen also beispielsweise auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.
Überdies müsse es einen Finanzausgleich zwischen der sozialen und der privaten Pflegeversicherung geben: „Weil derzeit nur die mittleren Einkommen mit den unteren solidarisch sind, die hohen sich aber aus diesem Solidarsystem verabschieden können.“