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Gerne mal verrückt

Über den Predigttext zum 5. Sonntag nach Trinitatis: 1. Korinther 1, 18-25

Predigttext
18 Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist‘s eine Gotteskraft. 19 Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): „Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.“ 20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? (…) 23 Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; 24 denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit 25 Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

Haben Sie es im Kreuz? Ja, es ist schon ein Kreuz mit dem Kreuz, wie es immer so schön heißt. Das Kreuz: Zeichen von Tod und Leben zugleich. Zeichen von Trauer und Hoffnung, vom Ende und Anfang zugleich. Eine Religion, die auf dem Kreuz basiert, ist das nicht verrückt? Vollkommen daneben? Oder um mit dem wortstarken Luther zu reden: eine Torheit. Ein Begriff, der weniger in unserer Umgangssprache vorkommt, den wir auch nicht mehr ganz so verstehen.
Wenn ich diesen Text in der Gehörlosengemeinde predige, welche Gebärde wäre die richtige? Wohl am ehesten die „Null im Kopf“, ein mit Daumen und Zeigefinger gebildeter Kreis vor der Stirn. „Davon habe ich keine Ahnung – das verstehe ich nicht!“

Der Neuanfang am Kreuz

Und zu verstehen ist das ja eigentlich auch alles nicht. Ein Gott, der stirbt, damit wir leben. Auf den ersten Blick ist das mit Gottes Sohn alles andere als eine Erfolgsgeschichte. Es fing ja schon unter einfachsten Verhältnissen im Stall an. Und der spätere Umgang war schon etwas, sagen wir mal, leicht anrüchig und zweifelhaft. Da passt dieses Ende eigentlich in die Biographie: Exitus am Kreuz.
In Wirklichkeit aber alles andere als Schluss-Ende-Aus – nämlich Anfang-Beginn-Ein! Mehr als eine herkömmliche Erfolgsgeschichte. Auch wenn alles auf den Kopf gestellt wird.
Denn es ist kaum zu fassen, was Gott da wagt. Er ist uns nahe, gerade wenn die Welt um uns aus den Fugen gerät. Gerade wenn die Klugen und Weisen uns als Toren verspotten, ist er da mit seinem Trost und seiner Kraft. Er weiß um unsere Ängste und Sorgen, weil er sie selber erfahren hat. Und er gibt uns Freiheit. Und auch Befreiung vor der Angst, vor dem Tod. So wie Martin Luther King gesagt hat: „Free at last!“
Wir haben es weit gebracht. In den Naturwissenschaften und in der Erkenntnis wie die Welt und auch der Mensch so funktionieren. Doch was sind alle unsere menschlichen Erkenntnisse, wenn es darum geht, die Probleme und Herausforderungen unserer Welt zu lösen? Wie schaffen wir es, eine inklusive Gesellschaft zu leben? In unserm Lande und auch in unserer Kirche? Ein Fried-volles und Fried-bringendes Miteinander aller Menschen, nein aller Geschöpfe Gottes? Ja, wo sind da die Weisen dieser Welt?
Das, was zunächst als Torheit angesehen wird, ist in Wirklichkeit unsere Kraft. Das Geschenk Gottes. Denn selbst seine Schwachheit ist immer noch viel stärker als unsere menschliche Stärke. Mal wieder ist Gott nicht mit unseren Maßstäben zu fassen. Mal wieder stellt er die Welt auf den Kopf. Mal wieder durchkreuzt er alles. Das hat der Apostel Paulus erkannt. Aus dem harten Stein der Verzweiflung wächst das Kreuz als Brücke zwischen Erde und Himmel. Und das, was wir Menschen meist nicht in Frage stellen, das kehrt Gott um: Der Tod ist nicht das Ende des Lebens.

Eine Welt gestalten, in der sich leben lässt

Damit nimmt Gott uns in die Verantwortung, sein kräftiges und kräftigendes Geschenk nicht nur anzunehmen, sondern auch zu nutzen. Mögen die andern uns auch für verrückt halten. Sollen sie doch. Ich bin gerne mal verrückt! Denn das befreit. Befreit von Angst und Zwängen. Von Überheblichkeit und Eingeschüchtertheit. Ich bin gerne mal verrückt, wenn es dazu dient, eine Welt mit zu gestalten, in der es sich leben lässt. Wo Platz ist für alle.
Nein, für uns ist das Kreuz keine Torheit. Es ist keine Null im Kopf. Es ist die Kraft, die anantreibt und stärkt. Und es die Weisheit, die uns geschenkt wird. Gerade in aller Schwachheit, Verzweiflung und Ohnmacht. Und die uns am Ende befreit.