Artikel teilen:

Gerecht geht anders

über den Predigttext am Sonntag Septuagesimä: Matthäus 20,1-16a

Der Sinn nach Gerechtigkeit ist recht weit verbreitet. Vor allem, wenn sich jemand ungerecht behandelt sieht und meint, etwas diene ihm selbst sehr zum Nachteil. Dann regt sich die Stimme der Gerechtigkeit im menschlichen Fühlen und Denken.

Schon bei kleinen Kindern ist das zu erkennen: Bei Ungerechtigkeit erfolgt ein Aufschrei des Unmuts, an den sich meist ein Ringen um die gewünschte Gerechtigkeit anschließt. Kinder, aber nicht nur Kinder können mit (großer) Ungerechtigkeit in aller Regel nicht gut, nicht zufrieden leben. Denn Ungerechtigkeit ist eine treibende Macht, die in großen Fällen tiefe Verletzungen verursachen und nicht

Ungerechtigkeit eine treibende Macht

selten sehr lange nachwirken kann: Ungerechtigkeiten im Erbfall stellen ein vielsagendes Beispiel dar. Sie können Beziehungen dauerhaft belasten, gar zerstören.

Mit seinem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg spricht Jesus genau den tief verwurzelten Gerechtigkeitssinn des Menschen an: Alle Arbeiter arbeiten unterschiedlich lange in einem Weinberg. Doch alle bekommen denselben Lohn. Als gerecht kann das kaum angesehen werden. Zwar ist das voll und ganz mit den Vertragsabsprachen des Weinbergbesitzers vereinbar, aber zählt denn nicht doch die Leistung? Die Anzahl der erbrachten Arbeitsstunden? Die Qualität des Arbeitsergebnisses? Die Schwere und Dauer der Arbeit? All das kann doch nicht denselben Wert haben!?

Hat es auch nicht! Dennoch bleibt es bei demselben Lohn, weil der Weinbergbesitzer es so will! Er stellt klar, dass er kein Unrecht tut: „Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht! Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen?“. Und er erklärt: „Ich will aber diesem letzten dasselbe geben wie dir!“. Dann fügt er hinzu: „Oder habe ich nicht die Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist?“. Eine Antwort auf diese Frage erübrigt sich. Niemand wird dem Weinbergbesitzer dieses sein Recht ernsthaft absprechen und damit seine Willensfreiheit streitig machen wollen. Denn: Großzügigkeit ist defi nitiv kein Rechtsbruch und auch nichts moralisch Verwerfliches!

Der Weinbergbesitzer hat die Entscheidungsbefugnis, großzügig zu sein und dabei seine Großzügigkeit über den Wert der Gerechtigkeit zu stellen. Gott, mit dem Weinbergbesitzer in diesem Gleichnis gleichzusetzen, wird nicht nach menschlichem Ermessen gerecht handeln, sondern sich stattdessen sein Recht auf Großzügigkeit und Barmherzigkeit nicht nehmen lassen.

Auch als Gläubiger muss ich Gott dies zugestehen, dass er mitunter viel großzügiger und barmherziger ist, als ich das annehme oder gar gerne hätte. Ich muss es ihm gestatten, gerade auch dann, wenn es meinem Nächsten und nicht mir selbst zugute kommt. Ich sollte es meinem Nächsten sogar ohne

Ohne Neid von Herzen gönnen

Neid von Herzen gönnen. Denn zu kurz komme ich selbst nicht. Ich erhalte ja auch meinen Lohn.

Im Ergebnis: Ein solch gnädiger und vom Menschen unabhängiger Gott gereicht mir zur Freude und ist mir eine beruhigende, wohltuende Hoffnung. Möge mir nicht die Frage gestellt werden müssen – weder von Gott noch von meinen Mitmenschen: „Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin?“.