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Gemälde aus Odessa sind in Berlin zu sehen – passend zur Zeit

60 Gemälde aus Odessa wurden in Sicherheit gebracht vor dem Krieg. Nun werden sie in Berlin gezeigt – im Dialog mit Werken aus Berliner Sammlungen. Dabei lassen sich unbekannte dramatische Kipppunkte entdecken.

Seit fast drei Jahren befindet sich die Ukraine im Verteidigungskrieg gegen Russland. Viele Ukrainer sind seitdem getötet worden, andere wurden verletzt, zum Teil schwer, manche konnten flüchten. Auch Bilder aus der Ukraine konnten im Laufe der vergangenen Jahre in Sicherheit gebracht werden.

60 Gemälde aus dem Museum für Westliche und Östliche Kunst in Odessa, der vom Krieg bedrohten Hafenstadt in der Südukraine, zeigt die Berliner Gemäldegalerie ab Freitag in der Ausstellung “Von Odesa nach Berlin. Europäische Malerei des 16. bis 19. Jahrhunderts”. Nie zuvor wurde laut Gemäldegalerie eine so große Zahl an Bildern aus dem Odessa Museum in Deutschland präsentiert. Damit nicht genug: Auch 25 Werke aus den Berliner Gemäldesammlungen sind Teil der Ausstellung. Sie sollen den Dialog zwischen Ost und West formen.

“Es geht bei diesem Projekt darum, ein Zeichen der Solidarität zu setzen”, sagte die Direktorin der Gemäldegalerie und Kuratorin der Ausstellung, Dagmar Hirschfelder, am Mittwoch in Berlin vor Journalisten. Ganz bewusst habe man beim Titel die ukrainische Schreibweise Odessas mit einem s gewählt. Gezeigt werden Gemälde europäischer Maler des 16. bis 19. Jahrhunderts, die sich aufgrund ihrer religiösen und mythologischen Motive wie zeitlose Kommentare zur Gegenwart lesen lassen: traurig, hoffnungsvoll, zerrissen.

Gegliedert ist die Ausstellung in neun Kapitel: Porträts, Tiere, Landschaften sowie andere Gattungen der europäischen Malerei. Schwerpunkte der Sammlung bilden, wie die Gemäldegalerie hervorhebt, italienische Werke des 17. und 18. Jahrhunderts sowie niederländische Gemälde des 17. Jahrhunderts.

Sehr eindrucksvoll sind zwei Gemälde einer thronenden Renaissance-Madonna von Francesco Granacci (1469-1543), einem Freund Michelangelos. Auf einem Werk thront die Mutter Gottes mit dem segnenden Jesuskind, Johannes dem Täufer und dem Erzengel Michael in kräftigen Farben – auf dem Werk daneben thront sie farblich etwas matter, mit segnendem Jesuskind und Johannesknaben, die sich freundlich beharken. Beide Werke stammen aus der Sammlung in Odessa.

Zwei Werke zum biblischen Motiv “Lot und seine Töchter” fallen ebenfalls auf: Aus Odessa stammt das eine Werk, das von einem Antwerpener Meister gemalt wurde. Nachdem Lot die sündige Stadt Sodom verlassen hat, hockt er mit seinen Töchtern im Grünen, während im Hintergrund die Flammen der brennenden Stadt zu sehen sind. Der Antwerpener Maler zeigt den Moment, da die Töchter den Vater so betrunken gemacht haben, dass sie mit ihm die nun notwendige Reproduktion fortsetzen können. Lot scheint es gerade zu erkennen. Was die ganze Flucht vor Sündhaftigkeit allerdings in ein moralisches Paradox stürzt. Bei dem zweiten Werk von Joachim Wtewael, das der Gemäldegalerie gehört, liegt der inzestuöse Kipppunkt bereits hinter den Akteuren, deren Leiber nun sinnlich miteinander verbunden sind. Kein Feuer glimmert im Hintergrund, dafür zwischen Vater und Töchtern.

Auf eine ähnliche Zerrissenheit stößt man auch bei zwei Werken von Roelant Savery (1576-1639); wobei das spannendere Sujet erneut aus Odessa stammt. Auf dem Werk “Landschaft mit Orpheus und den Tieren” verzaubert der mythische Sänger mit seinen Klängen die Tierwelt – inklusive eines Dodo. Viel doppelbödiger ist dagegen das Werk “Paradies”, das aus Odessa entliehen wurde. Im Vordergrund dieses Werkes sind Löwen und andere Tiere in friedlicher Harmonie zu sehen. Das Drama spielt sich im Hintergrund ab, wo Adam und Eva am Baum der Erkenntnis gerade dabei sind, ihr Glück zu verspielen – in Form des Sündenfalls.

Auch Bilder von Künstlern wie Andreas Achenbach, Cornelis de Heem, Bernardo Strozzi, Alessandro Magnasco und Frits Thaulow bieten interessante Einblicke in die Seelensprache der europäischen Malerei. Die Ukraine, aus der die 60 Gemälde gerettet wurden, rückt dadurch automatisch näher. Ein Effekt, der bereits bei einer Präsentation von deutlich weniger Gemälden aus Odessa vor einem Jahr in Berlin zu erleben war. Ein wichtiger Effekt.