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Geheimnisvolles Bild

Das „Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag“ von Paula Modersohn-Becker (1876-1907) ist das bekannteste Bild und das Hauptwerk der Worpsweder Künstlerin. Es ist in der Kunstgeschichte das erste Selbstbildnis einer Malerin als Akt – und ein rätselhaftes Meisterwerk. Gerade ist es in der Ausstellung „Short Stories“ zu sehen, die das Bremer Paula Modersohn-Becker Museum noch bis zum 18. Januar 2026 zeigt: in einem separaten Saal, begleitet nur von einer Vitrine, in der die Original-Bernsteinkette liegt, die Paula auf dem Bild trägt.

Schon die Signatur am unteren rechten Bildrand gibt Rätsel auf: „Dies malte ich mit 30 Jahren an meinem 6. Hochzeitstag P.B.“. Paula hatte Otto Modersohn am 15. Mai 1901 geheiratet, nach heutiger Rechnung war es also der 5. Hochzeitstag. „Sie scheint demnach den Tag der Eheschließung mitgerechnet zu haben“, sagt Frank Schmidt, Direktor des Paula Modersohn-Becker Museums.

Und: Ein von seiner Malweise derart komplexes Bild wird wohl kaum an einem Tag entstanden sein. „Das Datum dürfte sich daher entweder auf die Fertigstellung oder den Zeitraum beziehen“, meint Schmidt. Überdies ist Paula schwanger abgebildet, war es aber zu diesem Zeitpunkt gar nicht. Die Betonung des Bauches könnte als Hinweis auf einen nach wie vor unerfüllten Kinderwunsch zu verstehen sein.

Und warum signiert sie mit ihrem Mädchennamen P.B., Paula Becker? Der Museumsdirektor erklärt: „In einem intensiven Briefwechsel mit ihrem Mann weist sie 1906 wiederholt darauf hin, sich von ihm trennen zu wollen. Die Verwendung ihres Mädchennamens ist sicher vor diesem Hintergrund zu sehen.“

Unzweifelhaft war das Bild zur damaligen Zeit eine Revolution: Dass sich eine Frau selbst als Akt präsentierte, war undenkbar. Paula Modersohn-Becker durchbrach diese Regel und malte sich selbstbewusst als Künstlerin und werdende Mutter. Für die Öffentlichkeit war das Bild wohl zuerst nicht gedacht. Erstmals war es 1922 in einer Wanderausstellung in Berlin, Dresden sowie Hannover zu sehen.