Der 22. Oktober 1940 war ein dunkler Tag für die jüdische Bevölkerung in Baden, dem Saarland und der Pfalz. Mehr als 6.500 jüdische Frauen, Männer und Kinder wurden von den Nationalsozialisten aus den damaligen NS-Gauen Baden und Saarpfalz in das Internierungslager Gurs in Südfrankreich deportiert. 85 Jahre später erinnern Gedenkveranstaltungen, Mahnwachen und Vorträge unter anderem in Karlsruhe, Heidelberg, Pforzheim und Neckarzimmern an die Deportation.
Eine Sonderveranstaltung der Fernuniversität Hagen, die am Mittwoch (22. Oktober) in Karlsruhe und hybrid stattfindet, verspricht unter dem Titel „Rettet die Kinder“ einen „anderen Blick auf die Geschichte des Lagers Gurs vor 85 Jahren“. Die Zeithistoriker Brigitte und Gerhard Brändle aus Pforzheim stellen in dem Vortrag ihre Forschungsergebnisse zum Widerstand aus Baden gegen die NS-Diktatur vor. In der Veranstaltung werden Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm „Der Hölle entkommen. Kinder von Gurs überleben im Versteck“ (2022) von Dietmar Schulz gezeigt.
Am letzten Tag des jüdischen Laubhüttenfestes Sukkot wurden die Menschen am frühen Morgen des 22. und 23. Oktober 1940 aus ihren Wohnungen geholt und in Waggons verfrachtet. Nach einer strapaziösen Fahrt quer durch Frankreich kamen sie im Internierungslager am Fuße der Pyrenäen an. Die Deportierten mussten mit dem Schlimmsten rechnen.
Gurs war zwar kein Vernichtungslager, dennoch starben bereits im harten Winter 1940/41 über 1.000 meist ältere Menschen an den menschenunwürdigen Lebensbedingungen, mangelnder Hygiene und unzureichender medizinischer Versorgung. Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz und das Œuvre de secours aux enfants (OSE) – eine gemeinnützige Organisation zum Schutz jüdischer Kinder – konnten zunächst Kinder und Kranke außerhalb des Lagers unterbringen. Einigen gelang bis 1942 die Flucht über Kindertransporte in die USA oder nach England.
Doch ab Sommer 1942 wurden alle jüdischen Insassen nach Auschwitz-Birkenau oder Sobibor weiterdeportiert und ermordet. Nur wenige überlebten. Wegen des extremen Leids und der tödlichen Lebensbedingungen ist das Lager Gurs Überlebenden als „Vorhölle von Auschwitz“ im Gedächtnis geblieben.
Es sei ihr wichtig, den Ort wahrzunehmen, an den die Juden verschleppt worden seien, sagte die evangelische Landesbischöfin Heike Springhart laut einer Mitteilung der Evangelischen Landeskirche in Baden. Die Bischöfin war gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Gesellschaft und Religion aus Baden-Württemberg zur Gedenkfeier am Deportiertenfriedhof und Lager Gurs am 19. und 20. Oktober gereist. „Als Kirche beziehen wir eine klare Stellung für eine Gesellschaft, die aus ihrer Geschichte lernt, und machen uns stark für die Würde aller Menschen und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft“, sagte sie und hob die Bedeutung des Erinnerns hervor.
Auch der Leiter des Stadtmuseums Karlsruhe, Ferdinand Leikam, unterstrich den Stellenwert der Erinnerung. „Die Verschleppung ist für jede Stadt und Gemeinde von Bedeutung, in der Deportationen stattfanden“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Museum zeigt vom 26. Oktober bis zum 1. Februar Fotografien aus sieben der insgesamt 138 Deportationsorte. „Jedes Bild erzählt eine eigene Geschichte, auch darüber, wie es in sein heutiges Archiv gelangt ist“, erklärte Leikam.
Die Ausstellung im Stadtmuseum Karlsruhe dokumentiert das NS-Unrecht eindrucksvoll anhand von 45 Fotografien, die im Rahmen einer Kooperation als Leihgabe des „Fördervereins Mahnmal zur Erinnerung an die nach Gurs deportierten badischen Jüdinnen und Juden“ und des „Fördervereins Ehemalige Synagoge Kippenheim“ präsentiert werden. Die Bilder, aufgenommen von Nachbarn, Schulkindern und Passanten, widerlegen die Behauptung des Sicherheitspolizei-Chefs Reinhard Heydrich, wonach die Deportationen „von der Bevölkerung kaum wahrgenommen“ worden seien. Trotz Fotografierverbot wurden die Verschleppungen dokumentiert.
Die Fotos zeigen jüdische Menschen, die unter Polizeibewachung ihre Häuser verlassen, zu Sammelpunkten gebracht und auf Lastwagen verladen werden. Eine Fotoserie aus Lörrach dokumentiert in 25 Bildern nahezu filmisch den Ablauf der Deportation. „Die Ausstellung macht die Tiefpunkte und das Unrecht der badischen Geschichte sichtbar“, sagte Leikam. Die Stadt Karlsruhe hat nach dem Zweiten Weltkrieg die Koordination der Gräberpflege auf dem Deportiertenfriedhof in Gurs übernommen. (2663/21.10.2025)