Lateinamerikanische Fans machen aus der Klub-WM in den USA ein stimmungsvolles Spektakel – und stellen Europas Fußballbild auf den Kopf. Sie trotzen der Ungleichheit im Fußball mit guter Laune, die den Europäern fehlt.
Die “Hauptstadt der Migration” – wie die Zeitung “El Nuevo Herald” jüngst Miami nannte – darf sich auf ein weiteres Fest freuen. Am Sonntag (16.00 Uhr Ortszeit; 22.00 Uhr in Mitteleuropa) steht das Achtelfinale zwischen Bayern München und Flamengo aus Rio de Janeiro an. Angesichts von rund 400.000 Menschen mit brasilianischen Wurzeln in Südflorida dürfte es nicht überraschen, wenn die Partie für den Deutschen Meister zu einem “Auswärtsspiel” wird.
In diesen Tagen spricht die Politik vor allem auch in Miami viel über Abschiebungen, temporären Schutzstatus und die Migrationsbehörde ICE. Zugleich sind es ausgerechnet lateinamerikanische Migranten und Touristen, die die Spiele der Klub-WM im Hardrock-Stadium zu einem Erlebnis machen.
Im Vorrundenduell zwischen den Bayern und dem argentinischen Traditionsclub Boca Juniors verwandelten die Fans aus Südamerika die Arena, in der normalerweise die American Footballer der Miami Dolphins zu Hause sind, in ein echtes Fußballstadion. Da staunten selbst die Bayern-Stars: Stürmer Harry Kane sprach von einem seiner eindrucksvollsten Erlebnisse als Spieler.
Die Wahrnehmung des Turniers ist je nach Kontinent unterschiedlich. Kurioserweise haben ausgerechnet europäische Stimmen, die sonst gerne Toleranz und Vielfalt fordern, plötzlich ein Problem damit, dass auch einmal weniger exzessiv bezahlte Mannschaften aus Südafrika, Mexiko oder Lateinamerika die Hauptdarsteller sind: Die Klub-WM bricht die bisherige Rollenverteilung auf. Lateinamerika ist nicht mehr nur Zulieferer für Europas Fußballkonzerne, sondern – zumindest für einen Monat auf dem Platz – auf Augenhöhe.
Waren bei der Weltmeisterschaft Ende 2023 in Katar klimatisierte Stadien noch verpönt, gibt es nun Kommentare, die sich auf ein Dortmund-Spiel in der klimatisierten Arena in Atlanta freuen. So schnell ändern sich die Ansichten. Hans-Joachim Watzke, Chef von Borussia Dortmund, ließ sich zu dem Kommentar hinreißen, dass Europa lernen müsse, dass der Fußball eben nicht allein den Europäern gehöre.
Derweil bringen die Brasilianer den nicht zu unterschätzenden Vorteil mit, in ihrer vertrauten Zeitzone zu spielen – und bei klimatischen Bedingungen, die sie ganz gut kennen. Beim WM-Turnier in den USA 1994 wurde die brasilianische Nationalmannschaft – bei ähnlichen Bedingungen – nicht zufällig Weltmeister. Eine Anstoßzeit in der Sommerhitze ist für Flamengo keine Seltenheit; die Bayern würden sich normalerweise in der Sommerpause befinden.
Alle vier brasilianischen Mannschaften haben es ins Achtelfinale geschafft – in Brasilien wird das Turnier daher mit großem Interesse und auch ein wenig Stolz aufgenommen. Das Duell Flamengo gegen Bayern könnte auch zu einer kleinen Revanche für die legendäre 1:7-Niederlage im WM-Halbfinale 2014 der Brasilianer gegen den späteren Weltmeister Deutschland werden: In den Sozialen Netzwerken wird darauf hingewiesen, dass mit Thomas Müller und Manuel Neuer noch zwei deutsche Spieler von damals heute noch dabei sind. Für Flamengo eine Extra-Motivation.
Katerstimmung herrscht dagegen in Argentinien. Dabei waren es die Fans der Boca Juniors und von River Plate, die südamerikanisches Flair in die Arenen brachten – und damit begeisterten. Dass es dabei friedlich blieb, ist auch einer Entscheidung der argentinischen Regierung zu verdanken: Die untersagte nämlich rund 1.500 gewaltbereiten Ultras die Reise in die USA. So zeigten sich die Argentinier von ihrer besten Seite – friedlich, stimmungsvoll, sympathisch. Nur sportlich reichte es nicht zum großen Wurf. Hohn und Spott ließen nicht lange auf sich warten.
Mit den Achtelfinalspielen am Samstag beginnt das Turnier nun so richtig. Für die Dortmunder geht es am Dienstag gegen die Mexikaner vom CF Monterrey. Es ist das erste Mal, dass die beiden Mannschaften aufeinandertreffen. “Wir haben Lust drauf”, sagte Sportdirektor Sebastian Kehl dem Magazin “Kicker”. Vielleicht packt dann auch den einen oder anderen nörgelnden Europäer die Fußballlust – bei klimatisierten 23 Grad in Atlanta.