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Für Zwischenmenschlichkeit im neuen riesigen Stadtteil

Im Quartiersbüro Lichtenreuth stehen kurz vor der offiziellen Öffnung am 14. Oktober unausgepackte Bananenkisten, Tisch und Stühle für Besucher fehlen auch noch. Die Kaffeemaschine ist dagegen schon lange in Betrieb. Pfarrerin Julia Popp zeigt sich gelassen: Sie kann improvisieren und hat ein klares Ziel vor Augen. Sie will die bislang über 1.000 Bewohner des neuen Nürnberger Stadtteils beim Ankommen unterstützen. „Alle sind neu hier und haben die Themen, die jeder hat, wenn er neu irgendwohin zieht.“

Lichtenreuth ist mit seinen Dimensionen ein Großprojekt. Auf den rund 100 Hektar des ehemaligen Bahngeländes sollen in mehreren Bauabschnitten 2.800 Wohnungen entstehen, in denen einmal etwa 6.000 Menschen leben werden. Außerdem gehört zum Stadtteil auf der grünen Wiese auch die sich ebenfalls im Bau befindliche neue Technische Universität Nürnberg (UTN).

Entsprechend verschieden sind schon jetzt die Neu-Bürger im Stadtteil, man stößt auf Familien, Senioren und Studierende. Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern und verschiedenen sozialen Schichten. „Das macht den neuen Stadtteil sehr spannend“, sagt Pfarrerin Popp, die eine Projektstelle des evangelisch-lutherischen Dekanats in Nürnberg innehat. „Ich versuche nun, diese Verschiedenheit zusammenzubringen.“

Das ist durchaus ein anspruchsvolles Vorhaben. Denn zuerst sind die Bewohnerinnen und Bewohner in die Sozialwohnungen entlang der Lorenz-Hagen-Straße eingezogen, die wegen ihrer Länge von den Lichtenreuthern als „Lange Zeile“ betitelt wird. In diesen geförderten Wohnungen leben Berechtigte „mit und ohne Fluchtgründe“, weiß Popp. Sie kommen aus allen Ländern dieser Welt. Da kann es immer mal Konflikte geben, aber „es ist auch eine Chance“.

Die Pfarrerin will die Menschen dabei unterstützen, nicht einfach nebeneinander zu wohnen. Sie möchte auch ein Zusammenleben gestalten. Schon bevor die Bäckerei mit Café gegenüber vom Quartiersbüro seine Pforten öffnete, lud Popp die ersten Bewohner regelmäßig zu Kaffee und Tee ein. Sie wollte die Menschen kennenlernen, ein Ohr für ihre Probleme haben, sie aber auch untereinander vernetzen.

Bei der Einladung hat Popp auch selbst ihre erste Lektion gelernt. Denn eine Kaffeerunde setzte sie während des Ramadan, dem Fastenmonat der Muslime, nachmittags an. Auf dieses Missgeschick sei sie freundlich hingewiesen worden – mit einem: diesmal nicht, aber das nächste Mal gern wieder.

Am Ziel ihrer Arbeit lässt die Pfarrerin keinen Zweifel: Sie möchte mit einem sozialdiakonischen Auftrag offen für die Menschen und ihre Fragen sein. „Wir bauen hier keine neue Kirchengemeinde auf.“ Manche Lichtenreuther seien zusammengezuckt, als sie ihren Beruf nannte. „Es gibt Vorurteile, die ich im persönlichen Kontakt widerlegen möchte“, sagt Popp. Kirchenzugehörigkeit oder Religion spielten bei ihrer Arbeit keine Rolle. Zur offiziellen Eröffnung kommt ein islamischer Kollege, um den interreligiösen Kontakt zu stärken. „Die frohe Botschaft in die Welt zu tragen, heißt für mich, Nächstenliebe zu leben.“ Das ist der Kern, worum es ihr geht. Herkunft, Geschlecht oder sexuelle Orientierung seien unerheblich, „es geht mir um den Menschen – nicht um Mission“.

Als nächstes will sie gemeinsame Kochabende veranstalten. Menschen mit ausländischen Wurzeln sollen dann ihre Küchentradition erlebbar machen. Ihr geht es dabei um Gastfreundschaft und das gegenseitige Kennenlernen anderer Kulturen. „Das geht beim Kochen und Essen besonders gut“, sagt Popp, die selbst gern nach Rezepten anderer Länder kocht.

Das Quartiersbüro Lichtenreuth wird von der Stadtmission Nürnberg betrieben. „Quartiersmanagement ist immer wichtig“, sagt Björn Bracher. Er leitet bei der Stadtmission den Bereich „Hilfen in besonderen Lebenslagen“. Gerade bei so einem neu entstehenden „Multikulti-Stadtteil“ sei ein schneller und niedrigschwelliger Zugang für die Menschen wichtig. Dafür arbeitet zusätzlich eine erfahrene Sozialpädagogin mit Migrationshintergrund im Büro, um bei kleinen und großen Fragen weiterzuhelfen. Dabei könne es etwa um Wohngeld oder Erziehungsberatung gehen, aber genauso auch mal um interkulturelle Streitigkeiten.

Bracher ist von der Quartiersidee in Nürnberg überzeugt. Mit dem dreijährigen Projekt, das von der Stiftung Deutsche Fernsehlotterie mit über 750.000 Euro finanziert wird, gibt es Fachleute vor Ort, die Probleme ganz am Anfang auffangen können, bevor sie sich hochschaukeln. „Das ist mit diesem Quartiersbüro machbar.“ (3167/13.10.2025)