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Der Frühling als innere Kraftquelle

Pfarrerin Susanne Eerenstein spricht über die Hoffnung, die durch die Erneuerung der Natur entsteht

Sonnenschein und wärmere Temperaturen tun gut. Ebenso, wenn die Natur wieder grüner und bunter wird. Karin Ilgenfritz sprach mit Susanne Eerenstein über die Wirkung des Frühlings auf den Menschen. Die Pfarrerin ist Leiterin des Evangelischen Beratungszentrums der Lippischen Landeskirche in Detmold. Sie erlebt, dass die Menschen im Frühling wieder mehr Antrieb haben, und dadurch auch wieder Kraft haben, um Probleme angehen.

 

Was macht der Frühling mit uns Menschen?
Susanne Eerenstein: Wir bekommen neuen Antrieb. Frühling wirkt stimmungsaufhellend und die Lebensfreude steigt. Wenn nach und nach wieder Blumen blühen und alles wächst – diese Erneuerung der Natur macht uns Hoffnung. Es ist auch ein Zeichen dafür, dass psychisches­ Wachstum möglich ist.

Wie meinen Sie das?
Im Frühjahr nehmen bei uns in den Beratungsstellen die Anmeldungen deutlich zu. Ich vermute das liegt auch daran, dass die Menschen wieder mehr Antrieb haben und sich wünschen, dass sich bei ihnen etwas ändert. Sie haben mehr Kraft, Probleme anzugehen. Die meisten tragen ihre Schwierigkeiten schon länger mit sich herum, haben aber eben beschwingt durch den Frühling die Energie, sich Hilfe zu suchen. Ich frage Ratsuchende immer nach dem Anlass, warum sie sich jetzt melden. Da nennt niemand den Frühling als Ursache. Aber oft kommt als Antwort so etwas wie „die Sehnsucht nach Veränderung“.

Also nichts mit Frühjahrsmüdigkeit…?
Nein, das kann ich nicht feststellen. Vielleicht entsteht die Müdigkeit durch die vermehrte Bewegung im Frühling? Das könnte ich mir gut vorstellen. Die Tage sind wieder länger, man hat mehr Möglichkeiten, sich draußen zu beschäftigen und sich zu bewegen. Sei es im Garten, bei einem Spaziergang oder beim Sport an der frischen Luft. Davon kann man schon müde werden. Gerade wenn wir uns nach dem Winter wieder erst an mehr Aktivität gewöhnen müssen. Aber insgesamt erlebe ich viel mehr die belebende Wirkung dieser Jahreszeit­.

Und diese Wirkung führen Sie vor allem auf die Lebendigkeit der Natur zurück?
Letztlich ja. Auch biochemische Prozesse spielen eine Rolle. Dadurch, dass es mehr Licht gibt, die Sonne scheint, produzieren wir mehr Vitamin D. Außerdem führt das zunehmende Licht dazu, dass wir weniger Melatonin ausschütten, das ist ein Schlafhormon. Dafür entsteht mehr von den Glückshormonen Serotonin und Dopamin. Aber ich bin keine Ärztin, so genau kann ich das nicht sagen. Jedenfalls ist es wissenschaftlich erwiesen, dass Licht, frische Luft und Bewegung antidepressive Wirkung haben.

Man merkt das in diesen Tagen, wo das Wetter so gut ist. Die Menschen sind gleich viel besser gelaunt.
Die Menschen erfreuen sich am Frühling. An den Farben. Im Winter ist alles grau in grau, alles verschwimmt ineinander. Jetzt gibt es wieder mehr zu sehen. Man kann die Dinge wieder besser unterscheiden, es findet eine Differenzierung statt. Genaueres Sehen ist möglich, das tut unserer Seele gut. Ich sehe, dass nicht alles grau in grau ist. Nicht alles ist schlecht, es gibt auch Gutes.

Momentan erleben wir dennoch auch, wie Schreckliches in der Welt geschieht. Viele Menschen fragen sich: Darf ich mich überhaupt so uneingeschränkt am Frühling freuen?
Das ist nachvollziehbar. Gleichzeitig nützt es niemandem, wenn ich mich immer wieder dämpfe. Das Leben findet bei jedem Menschen im entsprechenden Hier und Jetzt statt. Wenn mir etwas gut tut, dann ist das in Ordnung. Wenn ich mich freuen kann, dann trägt das zu meiner inneren Kraft bei. Zu meiner Stabilität. Wenn ich stabil und kräftig bin, kann ich auch anders mit Belastungen umgehen. Dann kann ich mich für andere engagieren, kann beten und solidarisch sein.

Der Frühling als Kraftquelle?
Warum nicht? Ich glaube, dass es gut ist, den Frühling als innere Kraftquelle zu sehen. Ich bin für mich zuständig, dafür, dass es mir gut geht. Gleichzeitig kann ich gerade dann Mitgefühl zeigen. Gutes erleben gibt Kraft. Und es gibt einen engen Zusammenhang zwischen selbst Gutes erleben und anderen Gutes wünschen und tun.

Was ist Ihnen selbst beim Gedanken an den Frühling wichtig?
Mir fällt dazu ein Gedicht ein, das der Pfarrer Tom Damm geschrieben hat. Es geht auf Psalm 41 zurück. Da geht es darum, dass sich der Beter kraftlos fühlt. Am Ende diese Gedichts bittet er Gott: „Sei du mein Frühling, meine Kraft, sei Sonne mir und Leben! Sei du, der in mir Heilung schafft, der fließen lässt den Lebenssaft, in Wurzel, Stamm und Reben.“ Gott als Frühling, das ist ein schöner Gedanke.