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Friedensnobelpreisträger Yunus bleibt auch mit 85 Hoffnungsträger

Seine Idee der Kleinkredite für Arme brachte ihm den Friedensnobelpreis ein, seine Kapitalismuskritik politische Verfolgung im eigenen Land. Mit 85 ist Muhammad Yunus für viele Menschen in Bangladesch Hoffnungsträger.

Auf Muhammad Yunus ruhen Hoffnungen. Der Friedensnobelpreisträger, Sozialunternehmer und Kapitalismuskritiker führt seit Sommer 2024 die Übergangsregierung in seiner Heimat Bangladesch. Vorgeschlagen wurde er von der Studentenbewegung. Infolge studentischer Proteste mit hartem Durchgreifen des Militärs hatte die damalige Regierungschefin und Gegnerin Yunus’, Sheikh Hasina, fluchtartig das Land verlassen. Nun soll Yunus einen geregelten Übergang und Wahlen begleiten, mit bald 85 Jahren.

Der Bangladescher wird von vielen verehrt. Er bietet seit Jahrzehnten dem Kapitalismus die Stirn. Und gründete das Konzept des “social business”: ein Wirtschaftssystem, das nicht nur auf Gewinne abzielt, sondern auch soziale Zwecke erfüllt. Aus dieser Grundhaltung heraus entwickelte er sein Modell der Kleinkredite gegen Armut. “Das bestehende Bankensystem funktioniert nur für die Reichen, aber nicht für das einfach Volk”, so Yunus.

1983 erhielt er die staatliche Genehmigung für seine Grameen Bank, die “Bank auf dem Land”. Sie vergibt Kleinkredite an Einzelne, vor allem Frauen – 20, 30 oder 50 US-Dollar, etwa für eine eigene Nähmaschine oder für ein Fahrrad, um die Ernte zum Markt zu bringen. Die Kredite werden nur unter der Voraussetzung angeboten, dass sich kleine Gruppen zusammenschließen und füreinander bürgen. Millionen Menschen haben seitdem solche Kleinkredite erhalten.

Yunus wurde am 28. Juni 1940 nahe der Hafenstadt Chittagong im heutigen Bangladesch geboren. Fünf seiner Geschwister starben noch als Kinder. Er studierte mit einem Stipendium in den USA und kehrte 1972 in seine Heimat zurück. Während einer Hungersnot 1974 zog der Professor über die Dörfer, um zu erfahren, was die Ärmsten brauchten.

“Eines Tages traf ich eine sehr arme Stuhlmacherin. Das passte nicht zusammen, diese wunderbaren Stühle und das ärmliche Haus, in dem sie sie herstellte”, beschrieb Yunus den Beginn seiner Erfolgsgeschichte. Die Frau verdiente nur zwei Cent am Tag, weil sie bei einem Händler Geld für Bambus leihen musste. Sie bekam das Geld nur, wenn sie ihm ihre Stühle zu einem sehr niedrigen Preis verkaufte. “Mein Gott, es sieht aus wie ein geschäftlicher Deal, aber sie ist eine Sklavin”, dachte sich Yunus.

Er wurde zum “Bankier der Armen”. 2006 erhielt er dafür den Friedensnobelpreis, nur eine der zahlreichen internationalen Auszeichnungen für ihn. UNO, Entwicklungspolitiker, Kirchen und die Weltbank förderten seine Idee. Und Yunus ging noch weiter; er gründete soziale Unternehmen, die sich um günstige Krankenversorgung, Ausbildungen von Krankenschwestern oder bezahlbare medizinische Behandlung kümmerten. Diese Unternehmen seien darauf ausgerichtet, “soziale Probleme zu lösen, ohne dass die Eigentümer persönlichen Profit erzielen wollen. Dabei wirtschaften sie nachhaltig und umweltbewusst”, sagte er in einem “Zeit”-Interview. Gewinne werden reinvestiert, die Mitarbeiter angemessen bezahlt.

Der Erfolg rief auch Neider auf den Plan. Und Nachahmer, die nur ihren Profit im Auge haben. “Manche benutzen den guten Namen der Mikrokredite, um als Kredithaie zu agieren”, versuchte sich Yunus abzugrenzen. Auch seriöse Kritik gibt es: Diskutiert wird, ob Kleinkredite wirklich Armut lindern. Schließlich habe Bangladesch noch keinen Weg aus dem Elend gefunden. 2007 gründete er eine Partei mit klaren Positionen gegen Korruption und Vetternwirtschaft. Sie existierte jedoch nur ein Jahr.

Zu seinen Gegenspielern gehörte auch die als korrupt geltende Regierung von Bangladesch. 2011 drängte sie Yunus aus seiner Bank, auch mit der Begründung, er sauge den Armen das Blut aus. “Sie sagen, Grameen sei eine Staatsbank, also müsse ich wie ein Staatsbeamter mit 60 in den Ruhestand”, berichtete er. Yunus ging vor Gericht – vergeblich.

Im Januar 2024 wurde er – kurz vor den Wahlen in Bangladesch – zu einer Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt – angeblich wegen Verstößen gegen das Arbeitsrecht. Seine Unterstützer kritisierten das Urteil als politisch motiviert. Wenige Monate später wendete sich das Blatt: Sheikh Hasina floh, Yunus wurde neuer Regierungschef.

Er gilt als unvoreingenommen und gemeinwohlorientiert. Die Frage ist, wie viel Einfluss er als Gestalter wirklich ausüben kann. Denn auch die Armee und Vertreter der etablierten Eliten werden die neue Ordnung nach ihren Vorstellungen prägen wollen.