Die neue Dresdner Frauenkirche feiert Ende Oktober ihr 20-jähriges Bestehen. Zum Jubiläum sprach der Evangelische Pressedienst (epd) mit Pfarrerin Angelika Behnke und Pfarrer Markus Engelhardt über ihre Alltagserfahrungen, häufige Wünsche der Gäste und Zukunftspläne.
epd: Was bedeutet es für Sie, in einer sogenannten Citykirche zu arbeiten?
Angelika Behnke: Das bedeutet vor allem, die kurzen Begegnungen zu gestalten. Wir sind – außer in der Schließwoche im Januar – täglich für unsere Gäste da. Diese kurzen Begegnungen müssen gelingen. Die Leute sollen etwas Positives mitnehmen, damit sie den Besuch in guter Erinnerung behalten und auch weitererzählen, was es hier an geistlicher Nahrung gibt. Wir sind für Trauungen und Taufen offen. Wir nehmen Themen auf, die die gesamte Stadtgesellschaft betreffen. Und wir leisten natürlich Seelsorge. Dabei müssen wir verständlich reden und das Evangelium in einer Alltagssprache rüberbringen.
Markus Engelhardt: Die Orgelandachten werden seit nunmehr 20 Jahren um 12 und 18 Uhr konsequent angeboten. In der Regel nehmen 100 bis 300 Menschen daran teil, im Advent können das auch mal bis zu 700 Gäste sein. Im Nachhinein bekomme ich manchmal von mir gänzlich Unbekannten eine E-Mail, in der sie sich bedanken oder um den Text des Impulses bitten.
epd: Welche Erfahrungen sammeln Sie in Ihrer täglichen Arbeit?
Behnke: Die Leute sind nahezu segenshungrig. Es fällt mir in den vergangenen Monaten und Jahren vermehrt auf, dass mich Leute darauf ansprechen, gesegnet zu werden, ganz persönlich. Darunter sind Paare, die zum Beispiel Silberhochzeit hatten, aber auch andere Menschen, denen ein persönlicher Segen wichtig ist. Wir segnen im Anschluss an Gottesdienste oder Andachten. Für Schwangere etwa gibt es zweimal im Jahr ein Extraangebot. Alles ist niedrigschwellig, niemand muss sich vorher anmelden oder eine Taufurkunde vorlegen. Das finde ich ein ganz großartiges Zeichen.
epd: Die Frauenkirche wird von einer Stiftung organisiert und hat keine eigene Gemeinde. Was bedeutet das?
Behnke: Uns ist mit der Stiftungssatzung in die Wiege gelegt, eine Gratwanderung zwischen Kirche und Gesellschaft zu praktizieren. Da müssen wir allem voran verständlich reden und das Evangelium in einer Alltagssprache rüberbringen. Auch die junge Generation fordert uns heraus. Als Stiftung haben wir eine hohe Flexibilität und Eigenständigkeit, die allerdings auch selbst finanziert werden muss.
Engelhardt: Unsere Arbeit unterscheidet sich von Kirchen mit festen Gemeinden. Wir sind ein vorgeschobener Posten in die Welt hinein und bekommen auch mehr von der Säkularisierung mit. Manche nehmen die Frauenkirche sogar als Eventlocation war. Das ist auch ein Teil von uns, aber es gibt verschiedene Themen, auf denen die Tätigkeit in der Frauenkirche beruht, darunter vor allem die Friedens- und Versöhnungsarbeit.
epd: Trotz fehlender Gemeinde – gibt es Menschen, die regelmäßig in die Gottesdienste kommen?
Behnke: Etwa ein Drittel der Sonntagsgottesdienstbesucher sind so etwas wie eine Stammgemeinde, die tatsächlich aus Dresden oder dem Umland kommt. Die vergleichsweise späte Anfangszeit von 11 Uhr für einen Gottesdienst wird sehr geschätzt. Es gibt zwar nicht eine Gemeinde als Mitglieder aufgelistet, aber es gibt die Gemeinde der Herzen – Menschen, die sich hier zugehörig fühlen. Dazu zählen natürlich auch die rund 350 Ehrenamtlichen der Frauenkirche.
Engelhardt: Die Kontinuität des Begleitens von Menschen fehlt in der Regel. Die allermeisten Gottesdienstbesucherinnen und -besucher kenne ich nicht persönlich. Aber eine große Stärke der Frauenkirche ist die Niedrigschwelligkeit vieler Angebote. Jährlich zählen wir knapp zwei Millionen Gäste.
epd: Wie ist die Frauenkirche in der Stadtgesellschaft und darüber hinaus verankert?
Engelhardt: Fast jeder denkt bei der Frauenkirche an die Schönheit des Gebäudes und die spezifische Geschichte des Wiederaufbaus. Letzteres wird nachlassen, wenn die Zeitzeugen weniger werden. Aber noch ist es etwas Bestimmendes, was jedoch auch etwas Rückwärtsgewandtes mit sich bringt. Wir wollen aus dem ständigen Wiederholen der Wiederaufbaugeschichte herauskommen – nicht zuletzt mit Blick auf die heranwachsende Generation, für die das nicht mehr diese emotionale Bedeutung hat. Ein Ort, in den die Schrecken der Geschichte eingeschrieben und eingemauert sind, wird die Frauenkirche aber immer bleiben.
Behnke: Wir können mit der Frauenkirche zeigen: Man kommt aus Ruinen wieder raus, es gibt ein Danach und es gibt die Hoffnung. Mit dem gelungenen Wiederaufbau, der die Ruine teilweise integriert hat, wird täglich veranschaulicht, dass ein Neuanfang möglich ist. Diese Geschichte erinnert uns daran, diese Hoffnung auch zu verbreiten. Es gibt ein Danach, auch in Kriegen.
epd: Worauf kommt es in den nächsten 20 Jahren an?
Engelhardt: Wir wollen politischer werden. Als Kulturort werden wir uns klar positionieren müssen, zum Beispiel in den heutigen Konflikten, soweit das irgendwie möglich ist. Dabei gilt es, keine abgehobene neutrale Position einzunehmen. Wir müssen auch missionarischer und dabei niedrigschwelliger werden und neue Formate ausprobieren, die vielleicht auch weniger liturgisch sind, denn viele Gäste sind keine Kirchenmitglieder. Wir wollen Menschen noch besser erreichen. Die täglichen Orgelandachten wird es auch weiterhin geben. Die sind ein großes Gut.
Behnke: Wir werden viel mehr rausgehen und Menschen integrieren müssen, die mit Kirche fremdeln und nicht vorrangig auf der Suche nach geistlicher Stärkung sind. Wir wollen ein Ort für das Gemeinwohl, für offene Gespräche in der Stadtgesellschaft sein. Vielleicht finden hier Menschen zusammen, die sonst nicht miteinander reden würden. Die Frauenkirche ist mehr als eine Sehenswürdigkeit.
epd: Apropos Sehenswürdigkeit: Haben Sie mal über Eintrittsgelder für die Besichtigung nachgedacht?
Behnke: Immer mal wieder, ja. Aber es soll bei einer Freiwilligkeit bleiben. Wir bitten um freiwillige Spenden.