Sie galt schon zu ihren Lebzeiten vielen als Vorbild im Glauben: Mutter Teresa, der „Engel der Armen“ in Kalkutta. Jetzt, 19 Jahre nach ihrem Tod, soll sie heiliggesprochen werden – obwohl man inzwischen weiß: Die Heilige wurde jahrzehntelang von schweren Zweifeln gequält. Immer wieder kämpfte sie mit dem Gefühl der Gottverlassenheit, das sie bis ans Ende ihres Lebens verfolgte.
Eine Heilige, die zweifelt – das ist auf den ersten Blick eine widersprüchliche Vorstellung. Normalerweise sind Heilige doch gerade Vorbilder in ihrer Treue und Standhaftigkeit im Glauben. Zweifel dagegen – das klingt nach Unsicherheit, Verrat an der eigenen Überzeugung, vielleicht sogar an Gott. Glaubensgewisse Menschen bemitleiden den Zweifler; manche verachten ihn auch heimlich.
Dabei stellt, wer zweifelt, lebenswichtige Fragen. Ist das wahr, was ich glaube? Gibt es diesen Gott wirklich, der sich mir in Liebe zuwendet? Kann ich mich darauf verlassen, dass er es gut meint mit mir und der Welt? Und wird er seine Verheißungen von Erlösung und ewigem Leben erfüllen?
Wer so fragt, dem geht es nicht um Gedankenspielereien wie die, ob Gott die Welt wirklich in sieben Tagen erschaffen hat oder ob Jesus über das Wasser wandeln konnte. Vielmehr geht es um Sinn und Ziel eines Lebens: Wenn es diesen Gott gibt, bin ich Mensch bei ihm aufgehoben – wenn nicht, dann ist alles, was ich hier tue und erlebe, letztlich hinfällig.
Darum kann es einen Menschen zutiefst erschüttern, wenn seine Vorstellung von Gott plötzlich oder allmählich in Frage gestellt wird: Da ist die Frau, die jahrzehntelang treu ihren Glauben gelebt hat, jeden Sonntag im Gottesdienst war und noch dazu den Besuchskreis geleitet hat. Mit über 60 bekommt sie Krebs – und kann nur hilflos fragen: Wie kann Gott das zulassen, bei allem, was ich für ihn getan habe? Oder der junge Mann, seit Jahren aktiv in der Jugendarbeit seiner Gemeinde, der nach einem sozialen Jahr in einem Elendsviertel ebenso hilflos fragt: Wo ist da Gott?
Dietrich Bonhoeffer – wie Mutter Teresa ein Vorbild im Glauben – waren solche Zweifel ein ständiger Wegbegleiter. Schon früh schrieb er: „Einen Gott, den ,es gibt‘, gibt es nicht.“ Gemeint war: Ein festes Wissen, eine Gewissheit darüber, wer Gott ist und wie, ist Menschen nicht möglich. Gott bleibt immer außerhalb unseres Erfassens. Das, was wir von ihm erkennen, ist bruchstückhaft, vorläufig und niemals endgültig.
Das Zweifeln und Fragen ist also kein Makel, keine Schwäche, sondern im Gegenteil ein Lernen und Wachsen. Nicht von ungefähr kennt die Bibel das Bild des Wegs für den Glauben: Glauben heißt, sich bewegen, weitergehen, nicht stillstehen und erstarren. Wer sich darauf einlassen kann, gewinnt Freiheit. Denn Glauben an den Gott der Bibel heißt nicht, Überkommenes um jeden Preis für wahr zu halten, sondern Gott nach dem Warum und Wohin zu fragen. Ein Leben lang.
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Fragend unterwegs
Heilige kennen das Gefühl genauso wie „normale“ Gläubige: Gott, der eben noch so vertraut und nah schien, wird plötzlich fremd. Zeit, sich auf den Weg zu machen und neue Bilder zu entdecken