Die Tiefsee ist voller Rätsel: bizarre Kreaturen, versunkene Schiffe, vergessene Geschichte. Unterwasserarchäologe Florian Huber erforscht diese unbekannte Welt – und warnt vor ihrem stillen Verschwinden.
“Die Welt weit unter der Meeresoberfläche birgt Überraschungen, die Geschichtsbücher füllen könnten”, sagt der Unterwasserarchäologe und Forschungstaucher Florian Huber. “Zugleich ist die Tiefsee noch immer unfassbar unbekannt.” Ein Vergleich verdeutlicht das: Während mehr als 7.000 Menschen den Mount Everest bestiegen und zwölf den Mond betreten haben, wagten sich bislang nur eine Handvoll in die rund 11.000 Meter tiefen Abgründe des Marianengrabens. Einblicke in diese geheimnisumwobene Welt gibt Huber in seinem Buch “Expedition ins Unbekannte”, das am Montag erscheint.
Geheimnisvolle Dunkelheit, Kälte und enormer Wasserdruck – schon ab etwa 200 Metern Tiefe herrschen extreme, feindliche Bedingungen. “Und doch existieren dort bezaubernde und skurrile Lebewesen”, sagt Huber. Der Anglerfisch etwa mit seiner grünlich leuchtenden Rute oder Gespensterfische mit durchsichtigem Kopf. Zwischen ihnen verbergen sich stille Zeugen der Menschheitsgeschichte: Rund drei Millionen gesunkene Schiffe ruhen nach Schätzungen der Unesco in den Ozeanen – vom prähistorischen Einbaum bis zum Transportschiff aus dem Zweiten Weltkrieg.
“Das Meer ist das größte Museum der Welt”, sagt der Archäologe, der an internationalen Expeditionen teilgenommen, Bücher verfasst und für Dokumentationssendungen spektakuläre Unterwasserbilder aufgenommen hat. Die Überreste der oft tragischen Unglücke böten faszinierende Einblicke in den Alltag früherer Seefahrer: Denn schon in der Steinzeit nutzten die Menschen das Meer als Fahrweg und Handelsroute.
Ziel seiner Arbeit sei es allerdings nicht, alle Wracks zu bergen. “Die Konservierung ist extrem aufwendig und teuer. Außerdem wissen wir nicht, wie das Holz langfristig an der Luft reagiert”, erklärt Huber. Ein warnendes Beispiel sei die 1961 geborgene Vasa, eine schwedische Galeone, die jährlich rund 1,5 Millionen Menschen ins gleichnamige Museum nach Stockholm lockt – und zunehmend mit Zersetzungsprozessen zu kämpfen habe.
Deshalb würden die Fundstellen heute meist mit hochauflösenden Kameras dokumentiert; aus den Aufnahmen entstünden 3D-Modelle, mit deren Hilfe sich Teile rekonstruieren und nachdrucken ließen. Zusammen mit ausgewählten Originalfunden wie Amphoren oder Messern würden diese dann präsentiert, erläutert der Experte.
Doch in die Begeisterung für neue Entdeckungen mischen sich deprimierende Beobachtungen. Als Huber vor mehr als 30 Jahren zu tauchen begann, hätten sich, sagt der Forscher, noch Dorsche an jedem Wrack getummelt; bunte Fischschwärme und prächtige Korallen hätten das Bild geprägt.
Heute seien viele Gebiete leergefischt, zu warm und verschmutzt. In der Ostsee zum Beispiel entstünden immer mehr “Todeszonen”, in denen Sauerstoffmangel zum Massensterben von Fischen führe. Höhere Wassertemperaturen würden zudem das mikrobakterielle Wachstum fördern, was wiederum den Abbau der untergegangenen Kulturgüter beschleunige.
Mit seinem Kieler Forschungsunternehmen Submaris engagiert sich Huber deshalb gleichermaßen für die Wracks wie auch für den Erhalt der Ökosysteme unter Wasser. Gemeinsam mit der Umweltschutzorganisation WWF und anderen Tauchern spürt er zum Beispiel sogenannte Geisternetze auf – verlorene Fischernetze, in denen sich Tiere verheddern und verenden, und die erst nach langer Zeit zu Mikroplastik zerfallen. “Ich will kein Mülltaucher sein”, sagt Huber zwar. Doch die Faszination für intakte Regionen sei Antrieb genug, zum Erhalt bedrohter Lebensräume beizutragen.
Darüber hinaus beteiligt sich der Wissenschaftler an der Wiederansiedlung von Seegras – einer Pflanze, die Küstenerosion verhindert, klimaschädliches CO2 bindet und vielen Fischen als Brutplatz dient. Die Setzlinge würden dazu einzeln aus bestehenden Flächen entnommen und an anderer Stelle eingegraben. Wie dicht gepflanzt werden muss und welche Wassertiefe den größten Erfolg verspricht, muss laut Huber noch genauer erforscht werden.
Auch wenn jede und jeder durch bewussteren Fischkonsum und den Verzicht auf Mikroplastik zum Schutz der Meere beitragen könne, sieht Huber vor allem die internationale Politik und Wirtschaft in der Pflicht. “Das Meer absorbiert über 90 Prozent der überschüssigen Wärme und bindet mehr als ein Viertel des vom Menschen produzierten CO2”, betont er. Wer sich weder für die Lebewesen noch für die Ökosysteme interessiere, dem bleibe der Ansporn, die verborgenen archäologischen Schätze zu bewahren.