“Die entspannte Frau” – viele Frauen schmunzeln wohl höhnisch bis verzweifelt, wenn sie das hören. Und denken an das, was sie noch alles tun müssen. Eine Autorin will ihnen zu einem besseren Leben verhelfen.
Als sie erwachsen wurde, sagt die britische Autorin Nicola Jane Hobbs, habe sie nicht eine einzige entspannte Frau kennengelernt. Erfolgreiche Frauen? Ja. Tüchtige Frauen? Jede Menge, erklärt sie. Aber Frauen, die sich in ihrer Haut wohlfühlen und sich trauen, Raum einzunehmen in dieser Welt? Sie ist sich nicht sicher, jemals einer solchen Frau begegnet zu sein. Daher will die im englischen Brighton lebende Ernährungsberaterin und Yogalehrerin mit ihrem Buch “Die entspannte Frau” Hilfestellung geben, wie man ein besseres, entspannteres Leben führen kann – es ist am Donnerstag erschienen.
Wie darf man sich eine entspannte Frau vorstellen? “Die entspannte Frau ist eine Frau, die sich freigemacht hat: frei von Spannung, frei für Ruhe, frei zu weinen und Fehler zu machen”, sagt Hobbs und fügt hinzu: “Frei um Hilfe zu bitten, frei Freude und Vergnügen zu erleben, frei ihre Gefühle zu spüren, ihre Werte selbst zu bestimmen und mitfühlend auf unvermeidliche Stressfaktoren im Leben zu reagieren.” Fazit: also eine Frau, die frei sei, sich selbst zu vertrauen, für sich selbst zu sorgen und sie selbst zu sein.
Es geht Hobbs nicht darum, Verantwortung von sich zu werfen und ein bequemes Leben auf Kosten anderer zu führen. Aus eigener Erfahrung mit Erschöpfung und Belastung hat sie 2022 die Online-Community “The Relaxed Woman” gegründet, zu Deutsch eben: “Die entspannte Frau”. Die Community will Frauen mit Coachings und Workshops helfen, sich von Stress und Burnout zu erholen.
Die zentrale Frage lautet also: Wie kommt man in die Entspannung? In jedem Kapitel hat die Autorin kurze Abschnitte zum Innehalten und Nachdenken eingefügt. Diese Texte sollen die Leserinnen in einen Zustand der Stille versetzen, so dass sie die weiteren Ausführungen mit einem Gefühl von Frieden und Leichtigkeit auf sich wirken lassen können. Außerdem schlägt sie sechs praktische Schritte vor: von der Pflege innerer Ressourcen über die Regulierung des Nervensystems bis zur bewussten Gestaltung von Beziehungen.
Ein zentraler Punkt ist für Hobbs die Rückverbindung mit dem eigenen Körper. Durch einfache Übungen wie bewusstes Atmen, achtsame Bewegung oder Momente des Innehaltens beginnt nach ihren Erkenntnissen ein Prozess der Neuorientierung. Dabei nutzt sie aktuelle Erkenntnisse aus der Neurobiologie und der Psychologie, um zu zeigen: Entspannung ist lernbar. Das menschliche Gehirn kann neue Wege der Reaktion auf Stress entwickeln. Hobbs zeigt auf, wie man lernen kann, sich sicher und entspannt zu fühlen.
Sind persönliches Wachstum und Selbstverwirklichung nicht egozentrische Bestrebungen von Menschen, die zu viel Geld und zu viel Zeit haben? Auf diese Frage muss die Autorin zugeben, dass das wohl teilweise zutreffe: Sie spricht in erster Linie eine Zielgruppe an, die sich ohnehin schon Gedanken darum macht, wie man ein erfülltes Leben führen kann und die über die Möglichkeiten dazu verfügt.
Es geht der Autorin jedoch nicht nur um ein befreiteres Leben für einige wenige, sondern auch um eine neue gesellschaftliche Ausrichtung. “Wir brauchen eine Ökonomie des Wohlbefindens”, stellt sie fest. Hobbs ruft zu einer leisen, aber tiefgreifenden Revolution auf: Für sie ist Entspannung kein individuelles Wohlfühlprojekt, sondern ein politischer Akt. Eine Gesellschaft, die Frauen systematisch erschöpft, braucht ihrer Meinung nach nicht noch mehr Disziplin, Anpassung oder Selbstoptimierung – sondern eine kulturelle Neuausrichtung, die Fürsorge, Ruhe und Mitgefühl ins Zentrum stellt.
Zudem fordert Hobbs eine gesellschaftliche Aufwertung von Fürsorgearbeit, auch als Care-Arbeit bekannt. Diese müsse emotional und finanziell anerkannt werden, anstatt im Schatten von Erwerbsarbeit zu stehen. Die Forderung, Care-Arbeit endlich gesellschaftlich und ökonomisch angemessen zu bewerten, steht auch im Mittelpunkt von Emma Holtens internationalem Bestseller “Unter Wert. Warum Care-Arbeit seit Jahrhunderten nicht zählt”.
Ähnlich wie Holten plädiert Hobbs für mehr Investitionen in soziale Infrastrukturen wie Pflege, Bildung und Gesundheit. Sie betont, dass es ohne eine faire Verteilung von Sorgearbeit keine echte Entlastung geben kann. Die Politökonomin Feline Tecklenburg will mit ihrer Initiative “Wirtschaft ist Care” Ähnliches erreichen. Die entspannte Frau, so Hobbs, ziehe sich nicht zurück aus der Welt – sie könne sogar die Gesellschaft zum Besseren verändern.