Artikel teilen:

Ex-Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer für Dienstpflicht

Für die frühere Bundesministerin braucht es derzeit mehr internationales Engagement, nicht weniger. Im Austausch mit Israel hält sie militärische Ratschläge für unangemessen.

Annegret Kramp-Karrenbauer (62) war Ministerpräsidentin, CDU-Parteivorsitzende und Bundesministerin. Jetzt leitet sie unter anderem die Kommission “Welt im Umbruch – Deutschland und der Globale Süden” des Think & Do Tanks Global Perspectives Initiative. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA; Freitag) berichtet sie über die Arbeit, aber auch über ihre Sicht auf die aktuelle Verteidigungs- und Außenpolitik.

Frage: Frau Kramp-Karrenbauer, die Kommission “Welt im Umbruch – Deutschland und der Globale Süden” lenkt den Blick nach außen. Welches Land oder welche Region bereitet Ihnen die größten Sorgen?

Antwort: Mir liegt auf der Seele, dass wir den Blick nach Südamerika vernachlässigen, etwa nach Mittelamerika und die dortigen politischen Auseinandersetzungen – oder wie organisierte Kriminalität zivile und staatliche Strukturen angreift. Asien und den afrikanischen Kontinent haben wir viel stärker im Blick. Letzterer ist sehr ambivalent. Er hat riesige Probleme; aber es ist auch ein Kontinent mit vielen Rohstoffen und derzeit der einzige Kontinent, dessen Bevölkerung wächst.

Frage: Auf wen richten Sie Ihre Hoffnungen?

Antwort: Wir hatten viele junge, sehr gut ausgebildete und selbstbewusste Gesprächspartner aus Politik, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern. Sie sind selbstbewusst und fordern zu Recht Respekt von Deutschland ein. Diese Dynamik zu erleben, dieses zukunftsgewandte Denken vermittelt ein Bild Afrikas, das in der deutschen Öffentlichkeit wenig präsent ist.

Frage: Die Kommission hat der neuen Bundesregierung zahlreiche Vorschläge unterbreitet. Wie war die Reaktion?

Antwort: Durch die vorgezogene Bundestagswahl mussten wir schneller und konzentrierter arbeiten. Wir sind eine überparteiliche und interdisziplinäre Kommission, haben daher viele Bereiche abgedeckt und ein gutes Netzwerk. Einige Vorschläge finden sich im Koalitionsvertrag wieder, etwa das Beibehalten des Entwicklungsministeriums. Unseren Abschlussbericht haben wir auch mit Kanzleramtsminister Thorsten Frei besprochen.

Frage: Warum im Kanzleramt?

Antwort: Aus unserer Sicht gehören die Themen nicht in ein Ministerium allein, sondern sie betreffen die gesamte Bundesregierung. Jetzt geht es darum, die einzelnen Punkte und oft sehr komplexen Problemstellungen in der politischen Debatte weiterzuverfolgen. Hier kann der geplante Nationale Sicherheitsrat maßgeblich die Koordinierung übernehmen.

Frage: Die Kommission fordert mehr internationales Engagement. Zugleich drohen massive Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit. Wie passt das zusammen?

Antwort: Unsere Grundbotschaft ist: In einer Zeit, in der viel nationalistisch diskutiert wird, ist mehr, nicht weniger internationales Engagement nötig. Das hat durch die US-amerikanische Entscheidung, ihre Behörde für internationale Entwicklung USAID einzustellen, an Dramatik gewonnen. Die Erwartungen an Deutschland sind riesig. Wir können diese Lücke sicher alleine nicht füllen; aber wir dürfen uns nicht zurückziehen. In den Haushaltsberatungen sollte geschaut werden, wie viel Geld wo ausgegeben werden kann. Entscheidend ist, Mittel zu kombinieren für den größtmöglichen Effekt. Zugleich brauchen wir mehr Privatinvestitionen.

Frage: Sie sagen auch, Deutschland müsse seine Interessen deutlicher benennen. Auf welche Interessen spielen Sie an?

Antwort: Wirtschaftsinteressen, etwa mit Blick auf Rohstoffe oder Arbeitsmigration. Es sind auch Sicherheitsinteressen und die Bekämpfung von Migrations- und Fluchtursachen. Es war für mich ein unglaublicher Aha-Moment, als ein Gesprächspartner mir sagte: Deutschland darf Interessen haben und diese offen kommunizieren; andernfalls bleibt unklar, was Deutschland wirklich will.

Frage: Was hat Sie motiviert, sich in diese Arbeit einzubringen?

Antwort: Die Zusammensetzung der Kommission hat mich sehr fasziniert. Auf der anderen Seite ist mir die Entwicklungszusammenarbeit aus meiner Zeit als Verteidigungsministerin vertraut. Ich habe bei meinen Auslandsreisen stets den Kontakt zu Botschaften und der Zivilgesellschaft gesucht. Letztlich geht es bei Verteidigungspolitik auch um nachhaltige Veränderungen; und hier kommt die Entwicklungszusammenarbeit ins Spiel.

Frage: Die Verteidigung Deutschlands ist das Thema dieser Tage. Wie bewerten Sie das als ehemalige Ressortchefin?

Antwort: In meiner Zeit als Ministerin war spürbar, dass sich Dinge ändern. Dennoch war in dem Moment für viele nicht vorstellbar, dass wir je wieder einen Krieg wie den in der Ukraine erleben. Es ist unglaublich, dass wir heute über das Fünf-Prozent-Ziel sprechen. Schon das Zwei-Prozent-Ziel an Verteidigungsausgaben war damals nicht erfolgreich durchsetzbar.

Frage: Wie sehen Sie die geplante Wiedereinführung der Wehrpflicht?

Antwort: Ich bin seit langem für eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen. Jetzt geht es aber viel konkreter um die Sicherheit Deutschlands. Da ist die Wiedereinführung der Wehrpflicht ohne nötige Grundgesetzänderung sicher der einfachste Weg. Aber auch diese muss vorbereitet werden. Zunächst soll es ein Freiwilligen-Modell geben. Hier wäre ich dafür, nicht nur Männer, sondern auch Frauen einzubeziehen und die Wirksamkeit zeitnah und ehrlich zu überprüfen.

Frage: Nach welchem Zeitraum sollte die Freiwilligkeit auf den Prüfstand kommen?

Antwort: Alle Sicherheitsexperten sagen, wir haben keine Jahre. Wir müssen schnell handeln und Strukturen wieder aufbauen. Falls es eine Wiedereinführung der Wehrpflicht gibt, müssen wir diese auch klug mit der Reserve verknüpfen.

Frage: Nicht nur der Ukraine-Krieg, auch der eskalierende Nahost-Konflikt bewegt die deutsche Gesellschaft sehr. Wie erleben Sie den Umgang Deutschlands mit Israel?

Antwort: Ich tue mich persönlich sehr schwer, Israel Ratschläge zu geben, erst recht militärische. Für mich hat Bundeskanzler Friedrich Merz mit Blick auf den Gazastreifen die richtigen Worte gefunden. Er hat im Wissen der historischen Verantwortung als Freund hinterfragt, was das Ziel Israels im Gazastreifen ist.

Frage: Sie sagen, Merz hat mit Blick auf den Gazastreifen die richtigen Worte gefunden. Aber kamen sie rechtzeitig, wenn man auf die Not der Menschen dort sieht?

Antwort: Es gibt kein Land, für das die Gratwanderung aus Solidarität und Staatsräson und zugleich kritischer Auseinandersetzung mit israelischer Regierungspolitik so schwierig ist wie für Deutschland. Und Merz’ Worte sind wahrgenommen worden, auch von Israel.