Lange Zeit zählte Rowan Williams zu den wichtigen Vertretern christlicher Kirchen weltweit. Und lange vor der Zeit gab er 2012 sein Amt als Primas der Anglikaner zurück. Mit 75 Jahren hat er sich befreit.
Seit er die Mitra des Erzbischofs von Canterbury abgelegt hatte, wirkte Rowan Williams erleichtert. So beschreiben es Menschen, die ihm seither begegneten. Erleichtert um die Last des Primas-Amtes einer schwierigen anglikanischen Weltgemeinschaft; erleichtert um die Verantwortung für den Zusammenhalt der Streithähne um Bischöfinnen und homosexuelle Bischöfe; erleichtert um einen Bischofsstab und schwere goldene Gewänder. Am Samstag (14. Juni) wird Rowan Williams 75 Jahre alt.
Am Ende seiner Amtszeit war die Erschöpfung fast greifbar gewesen durch ein quasi unmögliches Amt, für das man “die Konstitution eines Ochsen und die Haut eines Rhinozeros” benötigte, wie Williams selbst sagte. Nach zehn turbulenten Jahren im Amt (2002-2012) folgte er einem Ruf ans Magdalene College in Cambridge. Der Weg zurück in die Wissenschaft brachte auch die Kreativität des walisischen Barden und Poeten zurück. Ende 2021 veröffentlichte er ein Theaterstück über William Shakespeare (1564-1616).
Tief ist Rowan Williams dafür in die Shakespeare-Forschung eingestiegen. Die These des einst obersten Anglikaners: Der Dichter war höchstwahrscheinlich katholisch. Das Stück basiert auf fiktiven Gesprächen zwischen dem jungen Shakespeare und dem katholischen Ordensmann Edmund Campion (1540-1581). Williams: “Wir wissen, dass beide im selben Haus in Lancashire logierten. Ich fand es wundervoll, mit dem Gedanken zu spielen: Was haben ein jesuitischer Märtyrer und ein Mann wie Shakespeare einander wohl zu sagen gehabt?”
Selbst als Primas hat sich der Professor-Poet Williams immer Zeit zum Schreiben genommen. Einige seiner auch als Buch erschienenen Gedichte sind damals entstanden. “Naja, ich hatte schon einen Ganztagsjob”, sagt er einmal trocken dem Chefreporter des “Daily Telegraph” bei einer Homestory in Cambridge. – Den er aber doch auch gerne übernommen hat? – “Nicht allzu sehr. Warum auch? Nun ja, da war wohl dieser törichte, eitle und unreife Teil von mir, der sagte: ‘Oh, ein wichtiger Posten – wie überaus nett.’ Aber der Rest von mir, der warnte: ‘Ach, jetzt hör aber auf!'”
Vieles von dem Spott, der während seiner Amtszeit über ihn ausgegossen wurde, ärgerte Williams noch lange. “Einige Leute sagten, er war ein zu netter Mensch für den Job; zu intelligent und sogar zu heilig, um eine Kirche zu leiten, deren Mitglieder sich wie ein Sack Katzen prügeln konnten”, schrieb der “Telegraph”. Andere hätten gemeint, er sei “viel zu sehr aus der Welt, um von irgendeinem Nutzen zu sein”.
“Oh ja, daran erinnere ich mich”, hakte Williams ein. “So von wegen: Gott schreibt Gedichte.” Dabei sei Poesie doch gar nicht “aus der Welt”. “Es ist eine Art und Weise, sich besonders intensiv mit diesem viel geschmähten Gebilde zu verbinden, das wir Welt nennen.” Da ist sie wieder, diese reflektierte Intellektualität, die selbst viele seiner Landsleute an den Rand ihrer Englischkenntnisse brachte.
Volkstümlichkeit und Populismus waren nie Williams’ Sache. Mit rhetorischer Brillanz legte er zwar häufig seine Hand in Wunden der Gesellschaft, sprach unbequeme Wahrheiten an. Leider gelang es ihm dabei häufig nicht, sich selbst zu übersetzen.
Vor seiner Bischofskarriere lehrte Williams in Oxford. Von Haus aus ein waschechter Liberaler, musste er als Primas immer wieder die Brücke zwischen Traditionalisten und allzu linkslastigen Reformern schlagen. “Seine Liberalen” fühlten sich dabei von ihrem einstigen Mitstreiter vergessen. Schon wieder so ein Shakespeare-Motiv: der Falstaff aus “Heinrich V.”
Als der gebürtige Waliser im Dezember 2002 “Canterbury” wurde, war er ein mit 52 Jahren noch vergleichsweise junger Hoffnungsträger: Barde, Dichter, Druide. Doch sein Amt als Diener der Kircheneinheit hat ihn manches Mal wider Willen nach rechts gedrückt. Vor allem seine lesbischen und schwulen Freunde hätten sich von ihm Stich gelassen gefühlt, räumte er ein.
Ein Bonbon seiner Amtszeit war die “Royal Wedding” von Kronprinz William und Kate Middleton im April 2011. Der Erzbischof von Canterbury, der sich selbst auch als “skurriler Pfarrer der Nation” bezeichnete, hatte einen besseren Platz als Hunderte TV-Kameras und Millionen Briten am Fernseher, als er dem Paar stellvertretend für Volk und Kirche den Segen gab.
Seine Gedichte schreibt er mit der Hand. Und über die Schmerzen, ganze Absätze herauszustreichen, sagte er einmal: “Da gibt es diese Momente, in dem man seine eigenen Kinder tötet. Da saust dir durch den Kopf: ‘Oh ja, das ist ein schlauer Gedanke! Das ist schlau…! – Nein, ist es nicht. Es ist Schafscheiße…!” Oops – der Dichter ohne den Primas kann also sogar auch mal ungehobelt sein, wenn er möchte.