In der Natur ist die Biodiversitätskrise allgegenwärtig, in den Köpfen der Menschen nicht. Dass viele den zunehmenden Schwund von Tieren und Pflanzen nicht an sich heranlassen würden, hat nach Meinung des Hamburger Evolutionsbiologen und Biosystematikers Matthias Glaubrecht im Wesentlichen zwei Gründe. Der erste sei Verdrängung, der zweite ein Missverständnis, sagt der Hamburger Universitäts-Professor vom Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im Rahmen des „Nature Writing Festival“ stellt er am Sonnabend (11 Uhr) beim Naturschutzbund (Klaus-Groth-Straße 21) sein Buch „Das stille Sterben der Natur: Wie wir die Artenvielfalt und uns selbst retten“ vor. Wer dabei sein möchte, meldet sich unter www.NABU-Hamburg.de/vortrag2025 an.
„Alltagskrisen wie Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Nahost-Konflikt und wirtschaftliche Rezession ziehen viel Aufmerksamkeit ab, die Menschen wollen nicht noch eine weitere Krise haben“, sagt Glaubrecht. Hinzu komme, dass viele fälschlicherweise die Biodiversitäts- mit der Klimakrise gleichsetzten. „Der Hauptfaktor für den Schwund der Artenvielfalt ist nicht das Klima, es trägt nur zu einem geringen Teil dazu bei. Der Hauptgrund ist die Landnutzung, also beispielsweise die Rodung von Regenwäldern oder hier bei uns die intensive Landwirtschaft.“
Bis auf wenige Ausnahmen brächen bei allen Arten die Bestandszahlen ein, sagt Glaubrecht. „Wir sehen es beispielsweise bei Vogelarten des Ackerlandes wie Rebhühnern, Kiebitzen und Feldlerchen.“ Auch die Insektenbestände gingen stark zurück. Insekten seien aber als Bestäuber für Obst- und Gemüsepflanzen und als Nahrungsgrundlage für Vögel, Eidechsen und weitere Tiere wichtig. Selbst wirbellose Tiere wie Würmer im Boden würden immer weniger. Sie wiederum seien wichtig, da sie die Ökosysteme aufbauen.
Glaubrecht nennt Biodiversität „unsere Lebensgrundlage“. Schreite der Schwund von Tieren und Pflanzen weiter voran, führe das zu geringeren Ernten und damit einhergehend zu steigenden Lebensmittelpreisen.
Er fordert die Politik auf, das Thema Artenerhalt noch stärker in den Vordergrund zu rücken. Deutschland habe sich, wie andere Staaten, verpflichtet, bis 2030 insgesamt 30 Prozent der Landesfläche unter Naturschutz zu stellen und 20 Prozent der Fläche zu renaturieren. „Diese Ziele müssen intensiv umgesetzt werden.“ Auch Bundesländer und Kommunen seien gefordert.
Hobbygärtnerinnen und -gärtner könnten ebenfalls aktiv werden. „Golfrasen hat mit Natur nichts zu tun“, sagt Glaubrecht. „Wir können mehr Naturnähe herstellen, wenn wir Pflanzen wachsen lassen, Wildwiesen anpflanzen und einheimische Gehölze, vor allem blühende, fördern.“ Verbraucherinnen und Verbraucher könnten zudem ihre Essgewohnheiten ändern: weg von Fleisch, hin zu pflanzlichen Bio-Produkten aus regionalem Anbau.