Artikel teilen:

„Es gibt kein Richtig oder Falsch“

Wie kommen Menschen mit ihrer Trauer klar? Trauerbegleiter David Roth empfiehlt, sie zuzulassen und sich nicht abzulenken. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, an den Verstorbenen zu denken. Mit der Zeit kann die Trauer ins Leben integriert werden

highwaystarz - Fotolia

Ein Mensch ist gestorben, die Beerdigung ist vorbei, der Alltag hat einen wieder. An die Stelle der Trauer tritt das dankbare Gedenken an den Verstorbenen. Über die Bedeutung des Totengedenkens spricht der Bergisch-Gladbacher Bestatter und Trauerbegleiter David Roth mit Angelika Prauß.

Bleibt heutzutage für Totengedenken überhaupt Zeit?
Wir sind in der Tat durch unsere Arbeit und anderes stark abgelenkt. Viele haben die Hoffnung, dass die Trauer einfach vorbeigeht – nach dem Motto: Die Zeit heilt alle Wunden. Manche versuchen auch gezielt, sich abzulenken. Aber irgendwann kommt meist doch ein Punkt, an dem sie sich damit befassen.

Wie wichtig ist ein gutes Andenken für die Trauerverarbeitung?
Die Bedeutung wird den Menschen meist erst später bewusst. Wir erleben das häufig bei Hinterbliebenen, die einer anonymen Beisetzung zugestimmt haben. Sie dachten: „Ich behalte den Verstorbenen doch in meinem Herzen.“ Nun kommen sie damit nicht klar, dass sie keinen Platz zum Trauern und Gedenken haben. Viele anonyme Bestattungen werden deshalb später wieder rückgängig gemacht. Zu einem guten Gedenken gehört auch, dass an dem Grab Sachen abgelegt werden oder dass es umgestaltet wird. Oft entwickeln sie dort eigene Rituale. Auch wenn die Zahl anonymer Beisetzungen steigt – vielen Menschen ist es nach wie vor ein großes Bedürfnis, einen Ort zum Trauern zu haben.

Was ist, wenn Menschen kein Grab zum Trauern haben?
Hinterbliebenen ist es meist wichtig zu wissen, wo sich die sterblichen Überreste ihres lieben Menschen befinden. Es schmerzt, wenn man nicht physisch Abschied nehmen kann und sieht, wie der Sarg oder die Urne in die Erde gelassen werden. Es ist aber nie zu spät, eine solche Stelle zu schaffen. Viele Hinterbliebenen der Tsunami-Katastrophe in Südostasien haben sich einfach einen Ort gesucht. Das Grab ist zwar leer, aber sie haben das Gefühl, den Verstorbenen hier verorten zu können. Sie haben dort persönliche Gegenstände beigesetzt.

Der Phantasie sind also keine Grenzen gesetzt…
Genau, es gibt kein Richtig oder Falsch. Jemand benutzt den Schlüsselanhänger oder fährt mit dem Auto des Verstorbenen, obwohl es schon uralt ist. Oft sind es auch ideelle Dinge, mit denen man sich befasst, etwa mit den Kochrezepten des Verstorbenen. Vielleicht gründet man für ein Anliegen des Verstorbenen eine Stiftung oder unternimmt etwas im Sinne des anderen. Bei allem geht es um ein Sich-Befassen und darum, dass man einen Fokus hat, der einem die innere Verbindung ermöglicht – vielleicht auch, um ihm noch einmal zu sagen, dass man ihn liebt oder wie es einem gerade geht. Zu dem Andenken kann aber auch gehören, dass man sich mit Persönlichkeitsanteilen auseinandersetzt, die zu Lebzeiten vielleicht schwierig waren.

Ein gutes Stichwort – sich an einen lieben Menschen zu erinnern ist keine Kunst. Was, wenn der Verstorbene schwierig war?
Dann muss man sich auch mit diesen Aspekten befassen und sie verabschieden. Menschen, die eine schwierige Beziehung zu einem Verstorbenen hatten, erzählen zugleich oft von einer großen Sehnsucht. Da hadert vielleicht eine Tochter, dass dieser Mensch nie der Vater war, den sie gerne gehabt hätte, weil er cholerisch, krank oder ein Alkoholiker war. Um den Verstorbenen trotz allem in Frieden zu verabschieden und zu würdigen, kann es helfen, sich auch mit seinen schwierigen As-pekten auseinanderzusetzen. Dann versteht man vielleicht sogar, warum dieser Mensch so geworden ist.

Hilft das Totengedenken bei der Trauerverarbeitung – oder sorgt es nicht dafür, dass der Hinterbliebene den Verstorbenen nicht wirklich loslassen kann?
Es ist unterschiedlich, in welcher Form und wie lange jemand trauert und wann er loslassen kann. Eines Toten zu gedenken und sein Andenken zu wahren, heißt nicht, dass sich jemand nicht zugleich auch wieder dem Leben zuwenden kann. Denn auch in Zukunft wird er immer wieder an den Verstorbenen erinnert werden, etwa wenn sein Lieblingslied im Radio läuft. Auch bei den jährlichen Festen kommen oft Erinnerungen hoch – wir erinnern uns vielleicht noch in 30 Jahren daran, was der Verstorbene an Weihnachten immer gesagt hat. Dem kann man eigentlich kaum aus dem Weg gehen, die Frage ist: Wie gehe ich damit um? Reißt es mich in den Abgrund der Trauer, oder nehme ich es zum Anlass, mich in Liebe und mit einem Lächeln an ihn zu erinnern?

Wie können das Andenken an den Verstorbenen und eine neue Partnerschaft gut nebeneinanderstehen?
Das setzt viel Kommunikation voraus, Klarheit und Abgrenzung. Man darf den neuen Partner nicht missbrauchen als Ersatz für den Verstorbenen, sondern muss ihn als eigenständige Persönlichkeit respektieren. Zugleich braucht der Verwitwete seinen verstorbenen Partner nicht zu verleugnen. In Trauergruppen erlebe ich immer wieder, dass auch Verwitwete neue Beziehungen schließen, manche lernen sogar jemanden auf dem Friedhof kennen.