Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen …“ aus Jessaja 29, 17-24
Die uralten Menschheitsträume in wunderbare Bilder gegossen: Dürres Land wird fruchtbar sein, Taube werden hören und Blinde endlich auftauchen dürfen aus Finsternis und Dunkelheit! Und, ach ja, Tyrannen wird es nicht mehr geben, Angst und Leid, Gewalt und Terror spielen keine Rolle mehr. Man ist versucht zu sagen: Wie schön!
Und: Was für ein Utopia! Unerreichbar fern in einer Welt, in der zuzeiten eine Schreckensnachricht die vorige überbietet.
Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Menschen zur Zeit, als dieser Text entstand, es viel anders gefühlt haben als wir Heutigen. Wenn auch ihre Welt begrenzter gewesen sein mag, so war sie wohl nicht weniger grausam. Das Elend, das uns zumeist über die Bildschirme und Liveticker erreicht, lag dort eher direkt auf den staubigen Straßen und Pfaden herum. Armut rückte etwas näher heran, war ein gewohntes Bild.
Wie tröstlich ist dann eine solche Zusage: Das alles wird einmal vorüber sein und einer neuen, besseren, menschenwürdigeren Qualität Platz machen müssen.
Sehr konkret wird es sein, dieses andere, geheilte und erneuerte Leben. Gottes eigenes Werk wird es sein, sich zeigen an uns, seinen Kindern. Etwas bewirken in einer Welt, die so voller Angst, Gier und Unverstand ist. Bewirken, dass Verständnis und Güte, Ehrfurcht und Freude ihren gebührenden Platz bekommen.
Utopia? Nicht, solange wir uns auf Christus berufen, auf einen Gott, dem wir Menschen so kostbar sind, dass er Elend und Schönheit, Angst und Freude, Verzweiflung und Hoffnung mit uns teilt.
Und jeder Mensch, der sich im Namen Gottes denen zuwendet, die Zuwendung bitter nötig haben; jeder, der ein bisschen von der Liebe hineingibt in seine kleine Welt; jeder, der es nicht duldet, dass Menschen nicht als solche behandelt werden – jeder dieser vielleicht ganz unauffälligen Menschen ist ein Zeichen. Zeichen der Hoffnung, Zeichen von Gerechtigkeit, Zeichen des Trostes.
Unsere Autorin
Helga Ruch ist Pröpstin in Stralsund.
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.
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Es bleibt keine Utopie
Über alte Menschheitsträume schreibt Helga Ruch. Sie ist Pröpstin in Stralsund.
