Einfach nicht mehr antworten, wenn eine Beziehung ungemütlich wird? Keine gute Lösung, erklärt Sabine Eymann, Heilpraktikerin für Psychotherapie. Denn der lautlose Kontaktabbruch lässt das Gegenüber ratlos zurück.
Es fühlte sich gut an, nach etwas Ernstem: Händchenhalten im Kino, Telefonate bis in die Nacht, Pläne schmieden fürs Wochenende. Doch dann – Stille. Keine Antwort mehr im Chat, kein Anruf, keine Erklärung. Alle Nachfragen laufen ins Nichts.
“Ein Großteil der Erwachsenen hat im privaten oder beruflichen Umfeld schon einmal solch eine Erfahrung gemacht”, sagt Sabine Eymann, Heilpraktikerin für Psychotherapie in München-Pasing. Manche jedoch werfe dieser plötzliche, einseitige Kontaktabbruch, der als Ghosting bezeichnet wird, völlig aus der Bahn. “Die plötzliche Stille und das Verschwinden ohne jegliche Erklärung hinterlässt Betroffene mit vielen Fragen und Gefühlen der Ablehnung, Scham, Unsicherheit und Selbstzweifeln.”
In einer Forsa-Umfrage im Auftrag der KKH Kaufmännischen Krankenkassen zu Jahresbeginn gab jeder zweite Nutzende von Dating-Plattformen an, schon einmal geghostet worden zu sein. “Der abrupte Kontaktabbruch erschüttert Zurückgelassene oftmals gleichzeitig in allen psychischen Grundbedürfnissen”, erläutert Eymann. So werde beispielsweise das Bedürfnis nach Bindung und Zugehörigkeit missachtet.
Auch der Verlust von Kontrolle und das Gefühl des Ausgeliefertseins mache vielen zu schaffen. Besonders quälend sei die Suche nach einer Erklärung: “Viele zermartern sich stundenlang den Kopf und versuchen, die Gespräche in der Erinnerung Wort für Wort zu rekonstruieren, um ihr eigenes Fehlverhalten aufzudecken”, erklärt die Therapeutin.
Nicht selten gäben Betroffene sich die Schuld für das Abtauchen des anderen – ein Versuch, die Kontrolle über das Geschehen ein Stück weit zurückzugewinnen. “Das ist jedoch ein Irrweg”, betont Eymann. Denn: “Ghosting sagt ausschließlich etwas über die Person aus, die ghostet, nicht aber über diejenigen, die zurückgelassen werden.” Im Umkehrschluss sei es daher auch nicht möglich, sich mit einem bestimmten Verhalten wirksam gegen Ghosting zu schützen.
Einen nachvollziehbaren Grund, der den völligen Rückzug rechtfertigen könnte, gebe es in der Regel nicht, sagt Eymann. “Ghoster scheuen das unangenehme Gespräch, fürchten Nachfragen oder Vorwürfe – und entziehen sich deshalb lieber ganz.” Aus Bequemlichkeit oder Feigheit sparten sie sich den emotionalen Aufwand, den ein faires Ende erfordere.
In der digitalen Welt sei das verlockend einfach: ein Klick, eine blockierte Nummer – und das Schweigen erledigt den Rest. Auch wenn die wenigsten aus Bosheit handelten, zeuge dies von mangelndem Anstand und widerspreche grundlegenden Regeln von Höflichkeit und Fairness, mahnt die Fachfrau.
“Manche Menschen setzen das Nicht-Antworten jedoch auch strategisch ein und spielen so ihre Macht als Herrscher über Nähe und Distanz aus”, erläutert Eymann. Besonders deutlich werde das, wenn die verschwundene Person nach einiger Zeit wieder reagiere – etwa mit einem kleinen Herz-Emoji auf Social Media.
Bei der verlassenen Person löse das unbewusst eine Erwartungsspirale aus: Sie hoffe auf das nächste Zeichen. “Diese Form der Kommunikation birgt Suchtpotenzial – ähnlich wie bei einem Spielautomaten, dem man ständig ein paar Münzen entlocken will.” Die Therapeutin kritisiert: “Wer so abtaucht, zwingt den anderen in eine hilflose Warteposition.”
Was in Liebesbeziehungen und Freundschaften den Selbstwert infrage stellt, zeigt sich zunehmend auch im Berufsalltag. Während viele Bewerber klagen, keine Antwort auf ihr Schreiben erhalten zu haben, berichten auch immer mehr Betriebe, dass Leute kurz vor dem Start ihrer Ausbildung ohne Absage abspringen. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) war 2023 jeder vierte Betrieb mit unbesetzten Ausbildungsplätzen vom sogenannten Job-Ghosting betroffen.
Zwar untergrabe auch dieses Verhalten Vertrauen und Verlässlichkeit, sagt Eymann – die psychischen Folgen seien im beruflichen Kontext jedoch weit weniger gravierend. “Bei den wenigsten erschüttert eine unbeantwortete Bewerbung gleich das Weltbild.”
Für die Zurückgelassenen bleibt Ghosting eine schmerzhafte Erfahrung – aber keine, an der man zerbrechen muss, betont die Expertin. “Wichtig ist, sich klarzumachen, dass der andere einen tatsächlich geghostet hat.” Das Verhalten des Gegenübers dürfe man sodann nicht als eigene Schwäche deuten, sondern als Überforderung oder Rücksichtslosigkeit des anderen.
Um innerlich abschließen zu können, helfe die rhetorische Frage, ob man mit einem Menschen, der Anstand vermissen lässt und Machtspielchen betreibt, wirklich eine Beziehung oder Freundschaft führen möchte. “Ich rate, sich auf jene zu konzentrieren, die verlässlich sind – Menschen, die antworten und bleiben”, sagt Eymann. Ob man dem Ghoster diesen inneren Schlussstrich noch mitteilen möchte, sei dann zweitrangig.