Predigttext zur Erprobung im Rahmen der Perikopenrevision: Jesaja 43, 1-7 (in Auswahl)
1 Und nun spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! 2 Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. 3 Denn ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner statt, 4 weil du in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe. Ich gebe Menschen an deiner statt und Völker für dein Leben. (…)
Fürchte dich nicht! Und noch einmal: fürchte dich nicht! 365-mal, heißt es, gibt es diesen Zuspruch in der Bibel, genauer nachzählen möchte man lieber nicht. Zu schön ist die Vorstellung, er könnte wirklich über jedem Tag des Jahres geschrieben stehen.
Was hilft gegen Angst? Wie hört man auf damit, sich zu fürchten, wenn einem das Wasser bis zum Halse steht?
Hemmungslos von Licht und Liebe reden
Im Buch Jesaja ist es die Botschaft an das verschleppte und vertriebene Volk, das Gott tröstet. Und nein, diese Worte haben keine Angst davor, übertrieben zu klingen. Sie scheinen so etwas wie Kitsch nicht zu kennen, ihre Taufspruchsprache redet so hemmungslos unbedingt von Licht und Liebe, dass der dunkle Hintergrund fast aus dem Blick gerät.
Und nun spricht der Herr (Jesaja 43,1). Mehr geht nicht: Keine Mutmaßungen, sondern Breaking news in einem radikalen Sinn. Die Einleitung wird so grundsätzlich, wie es nur geht: …der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob. Es handelt sich um den Schöpfer, dessen Trost hier verkündigt wird, und auch jetzt geht es um so etwas wie eine neue Schöpfung. Fürchte dich nicht (Jesaja 43,5), egal welchen Fluten und Flammen du ausgesetzt bist. Du bist kostbar, wertvoll, geliebt. Du wirst überhäuft mit Worten, die sich kaum predigen oder aufschreiben lassen, weil es so intime Ausdrücke der Nähe sind: Ich bin bei dir (Jesaja 43,5).
Was hilft gegen Angst? Der Prophet vermittelt zweierlei: Erinnerung und Hoffnung.
Erinnerung – an den Gott, der uns geschaffen, der von Anfang an dabei war. Wo Zukunft fraglich wird, gewinnen Fragen der Herkunft an Gewicht. Wo kommen wir her? Die große Erzählung Israels – geschaffen, gesegnet, befreit aus Ägypten, durch die Wüste geführt – sie geht weiter. Der Faden ist nicht gerissen, auch wenn es oft so aussieht.
Hoffnung – es gibt so etwas wie eine Zukunft: Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln (Jesaja 43,5). Unklar und verschwommen, aber immerhin, etwas Besseres als der Tod wartet allemal auf diejenigen, die sich von Gott mit ihrem Namen gerufen wissen.
Worte voller Erinnerung und Zukunftshoffnung: Das könnte eine Formel sein für Gegenmittel bei ansteigender Panik. Wo in der Panik alles in einem Strudel gegenwärtiger Katastrophenangst versinkt, da kann eine andere Zeiterfahrung eine Atempause verschaffen. Die Erfahrung, dass ich eine lange Geschichte hinter mir habe, geschaffen, behütet, mit meinem Namen gerufen, auf dem Weg mit Gott – und nicht in der Sackgasse. Wenn diese Welt immer noch Gottes Welt ist, dann ist sie zu groß für Sackgassen, dann geht es immer irgendwo weiter.
Christen teilen die Hoffnung Israels
Hilft das? Es macht den besonderen Reiz (und auch die Herausforderung) des Alten Testaments aus, dass alle seine Worte so geerdet, mit Namen und Orten verbunden sind. Am Geschick von Ägypten, Kusch und Seba (Jesaja 43,3) kann Israel ablesen, dass Gottes Macht bis an die Enden der bekannten Erde reicht. Dietrich Bonhoeffer liebte das Alte Testament gerade dafür, dass es keine religiösen Probleme kannte, sondern ganz reale: Die Angst, im Meer der Völkerströme unterzugehen, vergessen zu sein in ewigem Exil, nicht mehr nach Hause zu kommen, keine Heimat mehr zu haben.
Hilft es uns? Christen teilen die Hoffnung Israels. Sie lassen sich ein auf diese so vertrauten und fremden Worte, sie lesen sie probeweise im Zusammenhang ihrer eigenen Ängste. Sie hören sie auf dem Weg ihrer Glaubensgeschichte, wo diese Hoffnung ein Gesicht gewonnen, in Jesus Christus einen Namen angenommen hat.