In den kommenden vier Monaten gibt es hierzulande mehr Dunkelheit als Tageslicht. Für viele sind das grausige Aussichten. Manche aber kann diese Perspektive nicht abschrecken. Im Gegenteil. Denn die dunkle Jahreszeit kann mit vielem punkten.
Entscheidend ist, ob man sich auf sie einlässt. Über die langen Winternächte werde viel geklagt, beobachtet die US-Psychologin Kari Leibowitz: Man komme morgens kaum aus dem Bett, kehre im Dunkeln von der Arbeit zurück. Freunde treffen, Sport treiben, abends das Haus verlassen, um etwas zu unternehmen – all das werde als Kraftakt empfunden. “Doch wer bereit ist, einen anderen Blickwinkel einzunehmen, dem winken die subtile und köstlichen Freuden der Dunkelheit”, schreibt Leibowitz in ihrem Buch “Wintern”.
Winterzeit-Mindset: Kooperieren statt dagegen kämpfen
“Anstatt sich gegen die Dunkelheit zu wehren, sollten Sie sich fragen: Was ist im Dunkeln besser?”, rät Leibowitz, die als Winterzeit-Mindset-Expertin für einen positiveren Umgang mit der kalten Jahreszeit wirbt. Denn die Dunkelheit kommt in jedem Fall – auch wenn man sie nicht mag. Also: “Wir können mit der Nacht kooperieren und aus der bedrückenden Dunkelheit ein gemütliches Wunder erstehen lassen.”

Kari fällt dazu einiges ein: Abende bei Kerzenschein, bewusstes Runterkommen und Entschleunigen, frühes Zubettgehen. Aber auch draußen könnten abendliche Spaziergänge, Lagerfeuer oder der Sternenhimmel besondere Momente bereithalten. Für die Winter-Expertin ist Dunkelheit “nicht nur einfach die Abwesenheit von Licht: Sie ist die Anwesenheit von etwas ganz anderem”. Und so könne sie sich von “einer Quelle winterlicher Bedrückung in eine Zeit voller Magie und Möglichkeiten” verwandeln.
Gesellige Momente in der Winterzeit mit Familie und Nachbarn
Beispiel Lagerfeuer. Viele Menschen genießen es, auch im Herbst und Winter am offenen Feuer beinander zu stehen und den tanzenden Flammen zuzusehen. Es knistert, spendet wohlige Wärme und sieht jeden Moment anders aus. Eine besondere Atmosphäre, der sich Jung und Alt kaum entziehen können – ob am Martinsfeuer oder bei adventlichen Treffen mit Nachbarn und Freunden, vielleicht beim lebendigen Adventskalender mit einem wärmenden Getränk.
Ein besonderes Glück, wenn man an solchen Abenden den Zauber eines Sternenhimmels erlebt. Mit der Zeitumstellung sind Mond und Sterne an klaren Herbst- und Winterabenden schon früher gut zu sehen. Nicht nur Astronomieliebhaber erfreuen sich an den mit bloßem Auge zu sehenden Gestirne. Viele Menschen erfüllt der Blick in einen sternenübersäten Nachthimmel mit Staunen und Ehrfurcht.
Kosmische Verbundenheit in der Winterzeit
“Nachts vermengen sich in mir ein unsägliches Gefühl von Unendlichkeit und die schwindelerregende Empfindung von kosmischer Verbundenheit”, erklärt etwa der vietnamesisch-amerikanische Astrophysiker Trinh Xuan in seinem Buch “Die Magie der Nacht”. Während er so in den Himmel zu Sternschnuppen und fernen Galaxien blickt, findet der Wissenschaftler poetische Worte für das, was er angesichts der unfassbaren Dimensionen des Alls sieht und fühlt. Denn allein die Milchstraße beheimate mehrere Hundert Milliarden Sterne. Das erfüllt auch den Wissenschaftler mit Ehrfurcht.
Für Alfred Hirsch ist das Betrachten des Sternenhimmels auch eine Gotteserfahrung. Der Dillinger Religionspädagoge ist ein Astronomie-Freak und bietet regelmäßig spirituelle Abend- und Nachtwanderungen an. Wer in den nächtlichen Himmel blicke, treffe auf eine “grenzenlose Dimension des Schönen”. Das Staunen über den prachtvollen Sternenhimmel ist für ihn “ein erster bedeutender Schritt, um an einen Schöpfer glauben zu können”. Schon immer habe der Blick nach oben Menschen mit spirituellen Fragen konfrontiert: Wer bin ich, woher kommt das alles?

Der Anblick der Milchstraße ist für Hirsch, der das Buch “Staunen unterm Himmelszelt” geschrieben hat, “wie eine Schwelle zu einem Rendezvous mit der unendlichen Schöpferkraft des Universums. Es ist eine Begegnung, die uns den Atem raubt, weil sie etwas vom unerschöpflichen Geheimnis des Universums erleben lässt, das dem Kosmos einen Sinn verleiht”.
Winterzeit erleben: Warum wir den Sternenhimmel brauchen
Allerdings kommen immer weniger Menschen in den Genuss eines solchen überwältigenden Sternenhimmels. Hierzulande gibt es kaum noch Regionen ohne Lichtverschmutzung. Dazu zählen etwa die Nordseeinseln Pellworm und Spiekerog, die bayerische Winklmoos-Alm, der Nationalpark Eifel, die Rhön und das brandenburgische Westhavelland. Dabei brauchen Tiere und Menschen die Dunkelheit. “Es macht etwas mit uns, wenn wir die Sterne nicht mehr sehen”, sagt Manuel Philipp. Der 51-jährige Sternenkenner erklärt Menschen im Sternenpark Winklmoos-Alm das gestirnte Firmament. Auch für ihn ist es “weit mehr als irgendein Gefunkel am Himmel”.
