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“Emotionale Achterbahnfahrt” am Kranken- und Sterbebett

Die Sorge um die Gesundheit des Papstes bleibt groß, auch wenn sich Franziskus zuletzt offenbar stabilisiert hat. Ständiges Auf und Ab kennen viele Angehörige von alten und schwerkranken Menschen.

Kommt ein alter Mensch ins Krankenhaus, sorgt das bei Angehörigen für große Besorgnis. Ohnehin gibt es im hohen Alter meist Vorerkrankungen; kommt dann noch ein medizinischer Notfall hinzu, ist das eine Herausforderung für den Organismus betagter Patienten. Und Angehörige sind nach einer Krankenhauseinweisung meist im Alarmmodus.

Nicht nur, wenn sich der Patient auf der Intensivstation befindet, durchleben die ihm nahestehenden Menschen oft ein Gefühlschaos. Das kennen auch pflegende Angehörige oder Menschen, deren Eltern in einem Seniorenheim schwer erkranken. Schaffen es Mutter oder Vater noch einmal? Berappelt sich der alte Mensch wieder? Oder ist es der Anfang vom Ende? Mit dieser Ungewissheit müssen Angehörige leben, ohne zugleich jede Hoffnung aufzugeben.

So wie bei Ursula E.. Kurz vor Weihnachten schlug das Pflegeheim Alarm: Die alte Dame war nicht mehr ansprechbar, mehrere Organe drohten zu versagen. Die 81 Jahre alte Katholikin hatte sich für diesen Fall die Krankensalbung gewünscht. Zu diesem Anlass kam die Familie der Demenz-Patientin zusammen, ihre erwachsenen Kinder konnten ihre Hand halten und sich verabschieden.

Dachten sie. Denn, wie die Pflegeleitung es kurz darauf salopp ausdrücken sollte: “Die Letzte Ölung hat Ihrer Mutter gut getan!” Ursula E. berappelte sich, erlebte noch ein letztes Weihnachtsfest, einen Jahreswechsel – und starb schließlich im folgenden Februar. “So eine emotionale Achterbahnfahrt hatte niemand von uns erwartet”, sagt ihr Sohn Mario rückblickend. Wochen zwischen Hoffen und Bangen – auch mit der Frage, was man dem betroffenen Menschen überhaupt wünschen möchte – das erleben viele, für deren Angehörige die letzte Lebensphase angebrochen ist.

Auch pflegende Angehörige, die sich zu Hause um einen alten Menschen kümmern, erleben diese Lebensphase als erschöpfend und anstrengend. Schon bei einer Corona-Infektion hing das Leben der 95-jährigen Elisabeth K. am seidenen Faden. “Ein Glück, dass ihr Hausarzt abends noch vorbeikam und ihr eine Infusion geben konnte, sonst hätte sie das nicht überlebt”, erinnert sich ihre Tochter Melanie.

Noch zwei Jahre konnte die demente Seniorin das Leben in ihrem Zuhause genießen, bis sie schließlich nach einer Blaseninfektion ein Antibiotikum nicht vertrug. Danach sei sie nicht mehr auf die Beine gekommen, habe nur noch im Bett gelegen und binnen einer Woche körperlich stark abgebaut, sagt die Tochter. Aber hatte die Mutter sich nicht immer wieder erholt?

Auch wenn sie wusste, dass eine bald 97-Jährige irgendwann sterben wird – als die letzten Tage gekommen waren, sei das dennoch “heftig” gewesen, sagt Melanie. “Eine befreundete Palliativärztin hat mir gesagt, ich solle mir nicht mehr viel Zeit lassen, den Pfarrer zu rufen – da wusste ich, was die Stunde geschlagen hat und konnte mich noch von meiner Mutter verabschieden.” Einschneidend sei auch jener Moment gewesen, als die Dame vom Pflegedienst der schwachen Mutter den Ehering auszog und der Tochter überreichte. “Sie sagte: Wenn die Totenstarre erst eintritt, bekommt man ihn nur schwer vom Finger.”

Wenn ein alter Mensch in einem kritischen Gesundheitszustand ist, werde bei Angehörigen oft noch einmal dessen ganze Lebensgeschichte präsent, weiß der Stuttgarter Krankenhausseelsorger Hubertus Busch. Der drohende Tod eines lieben Menschen sei eine Zäsur auf dem eigenen Lebensweg: “Man sagt, dass der Tod das Leben neu ordnet”.

In dieser belastenden Situation des Auf und Ab ist es aus Sicht von Busch wichtig, mit anderen zu reden, “die mich und das Leben des Menschen, um den ich bange, kennen”. Aber auch eine außenstehende, zugewandte Person könne helfen, über Gefühle zu sprechen und sich zu sortieren. “Dabei kann auch überlegt werden, was ich mit dem kranken Menschen noch klären und was ich ihm noch sagen möchte”, erklärt der Krankenhausseelsorger. Ob mit einer guten Freundin, einem Nachbarn oder Seelsorgeprofi – für wichtig hält es Busch, mit den aufkommenden Gedanken und Gefühlen nicht alleine zu bleiben.

Auch das Beten sei für viele Menschen in dieser unsicheren Situation hilfreich, sagt Busch. Er beobachtet, dass viele dann die Stille der Krankenhauskapelle aufsuchen und eine Kerze anzünden. “Ich verbinde mich dabei mit dem Menschen, an den ich denke – und zugleich habe ich die Verbindung nach oben, wo ich mich in meiner Ohnmacht und Hilflosigkeit mit dem Göttlichen verbinden kann.” Es sei für viele eine tröstliche Vorstellung, dass es jemanden gebe, der den Menschen an der Todesschwelle “trägt und hält – egal wie es ausgeht”.

Die österreichische Psychotherapeutin Sandra Burgstaller betont, wie sinnvoll eine Begleitung durch Angehörige und Freunde für eine todkranke Person sein kann. So könnten sanfte Berührungen und leichte Bewegung tröstend wirken. Rituale seien eine weitere Möglichkeit für Betroffene und das Umfeld, den Abschied zu erleichtern, sagt die Expertin. Ein Beispiel sei etwa das bewusste Äußern von Dankbarkeit.

Hilfreich können aus Sicht der Expertin auch bestimmte Leitfragen am Lebensende sein, etwa: Was möchte der Mensch noch erleben? oder “Von wem möchten Sie sich bewusst verabschieden?”. Sie lenkten den Fokus auf das Wesentliche und schafften Platz “für all das, was dann noch möglich ist”.

Ursula E. hat ihre letzte Ruhe inzwischen gefunden; auf ihrem Begräbnis waren viele alte Freundinnen, Verwandte, Weggefährten. Manche von ihnen haben die letzte Chance genutzt und sie in den Wochen zwischen Weihnachten und ihrem Tod noch einmal besucht, Fotos angesehen, von einer gemeinsamen Erinnerung erzählt oder ein Lied gesungen. “Im Nachhinein sind wir sehr dankbar für diese Zeit”, sagt ihr Sohn. “Sie hat sich wie eine Zugabe oder eine Verlängerung angefühlt.”