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Eineindeutige Verhältnisse

Mathematik ist eine feine Sache! Sagen Sie das mal im Bekanntenkreis, zum Beispiel bei einer Geburtstagsfeier. Sie werden die interessantesten Reaktionen erleben. Augenbrauen schießen nach oben. Stirnen runzeln sich. MATHEMATIK? Ist das nicht jenes Fach, mit dem wir in der Schule die Leidensgeschichte erfahren haben?
Aber für manche war Mathematik eben auch eine Offenbarung.
Klare Verhältnisse! Eindeutige Ergebnisse (die Mathematik kennt sogar den Begriff „eineindeutig“). Was „falsch“ war oder „wahr“, das entschied am Ende nicht mehr der Lehrer. Sondern nur: Logik und Verstand. Für Unsicherheit war da kein Platz.

Was für ein Unterschied zu den so genannten Laber-Fächern: Deutsch, Sozialkunde, Pädagogik, Literatur, Politik – in endlosen Diskussionen drehten und wanden sich Gedanken und Fremdwörter wie Serpentinen in den Alpen. Irgendwo kam man schließlich an. Berauscht von der Drehung. Aber ohne Gewähr, dass man die Wahrheit gefunden hätte.
Das Leben besteht aber nicht nur aus Mathematik. Bleibe ich mit meinem Ehepartner zusammen? Soll ich meinem Ärger Luft machen in der Nachbarschaft, bei der Arbeit, im Presbyterium? Wechsel ich die Arbeitsstelle? Da bleiben oft nur: bedenken, abwägen, diskutieren – und im Gebet um Führung bitten. Ein klares „2 + 3 = 5“ wie bei den Zahlen gibt es häufig nicht.
Mathematik bleibt eine feine Sache. (Wenn Sie einem Kind die Unendlichkeit erklären wollen, sagen Sie ihm: Nenn mir die größte Zahl, die du kennst. Und dann zählen Sie immer noch eins weiter.) Im wirklichen Leben aber muss man oft genug auch mal fünfe gerade sein lassen.