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Eine Geschichte von Schuld und Sühne

Die Suche nach dem Schuldigen steht im Zentrum der meisten Kriminalromane. So auch in dem Buch „Es war meine Schuld“ der isländischen Pfarrerin Sjöfn Müller Thór – und doch ist hier alles ganz anders.

Agnes sitzt im Gefängnis. Etwas Furchtbares ist passiert; etwas, das mit ihrer geliebten Tochter Eva und ihrem Mann Josh zu tun hat. Agnes ist schuldig. Sie hat gestanden und wartet auf das endgültige Urteil des Gerichts. Nur – was genau ist geschehen? Dazu sagt die Angeklagte kein Wort.
Ihr Pflichtverteidiger Magnús ist ratlos und beginnt auf eigene Faust zu ermitteln. Weil Agnes ihm jede Auskunft verweigert, sucht er in ihrem Umfeld. Bei ihrer Freundin Hildur und deren Tochter Thora stößt er auf Hinweise, die ein ganz neues Licht auf Agnes‘ scheinbar so perfekte Familie werfen. Mit Thora zusammen macht er sich auf den Weg in die Westfjorde zum Wochenendhaus von Agnes‘ Familie. Und hier stellt sich die Frage nach der Schuld plötzlich ganz neu.
Der Krimi „Es war meine Schuld“ bietet eine ungewöhnliche Kombination aus psychologisch gefärbtem Porträt einer Mutter-Tochter-Beziehung und Kriminalgeschichte. Und noch etwas ist ungewöhnlich an diesem Buch: Seine Autorin, Sjöfn Müller Thór, ist Pfarrerin – und sie stammt aus Island. Mit ihr sprach Anke von Legat.

In Ihrem ersten Buch geht es um Schuld, Reue und Wiedergutmachung. Was hat Sie an diesem Thema fasziniert?
Schuld ist für mich ein großes Thema. Bei Agnes steht die Frage im Mittelpunkt, wie man Schuld tragen und ertragen kann. Darauf wollte ich schon mit ihrem Namen hinweisen: Agnes – das ist verwandt mit dem lateinischen „Agnus“, also „Lamm“. „Agnus dei“, das Lamm, das die Schuld trägt, bis ins Gefängnis hinein. Das ist der rote Faden in meinem Buch.

Spielt Ihr Beruf als Pfarrerin dabei eine Rolle?
Natürlich – hätte ich nicht Theologie, sondern Wirtschaft studiert, dann wäre das Buch komplett anders geworden! In der Seelsorge hatte ich immer wieder mit der Frage nach Schuld und dem Umgang damit zu tun. Es gab einen Fall, bei dem Jugendliche ums Leben gekommen sind und das ganze Dorf dadurch belastet war. Auch bei einem Suizid gibt es immer Schuldgefühle in der Familie. Schon für meine Magisterarbeit habe ich über Vergebung in der Bibel geforscht und bin zu dem Ergebnis gekommen: Verzeihen ist nur möglich, wenn der Täter die Schuld eingesteht und Besserung gelobt. In dem Buch steckt also einiges an Theologie.

Ein Teil des Buches ist aus Agnes‘ Sicht geschrieben. Warum?
So kommt man der Hauptperson so nah wie möglich – aber eben doch nicht ganz bis an den Kern. Ich fand es interessant, mit dieser Perspektive zu spielen, war mir aber nicht sicher, ob das funktioniert. Erst nach einigen Kapiteln war klar: Ich mache das so – auch, um eine Abgrenzung zwischen Agnes und der Welt zu schaffen. Die besondere Dynamik zwischen Mutter und Tochter, bei der eben nicht ganz klar wird, wer an was Schuld trägt, konnte ich auf diese Weise gut darstellen.

Wie sind Sie auf diese Geschichte gekommen?
Die Geschichte hat schon lange Zeit in meinem Kopf gelebt. Ich brauchte nur Zeit, um sie endlich aufzuschreiben – das ist mit vier Kindern gar nicht so einfach. Das meiste habe ich abends und nachts geschrieben. Die Handlung ist völlig frei erfunden, aber die Charaktere sind zusammengesetzt aus verschiedenen Menschen, die ich getroffen habe.

Sie leben als Isländerin in Inden an der Eifel, sind mit einem deutschen Pfarrer verheiratet und arbeiten unter anderem als Pfarrerin einer isländischen Gemeinde in Luxemburg, als Religionslehrerin an einer Grundschule und jetzt auch noch als Autorin. Eine ungewöhnliche Biographie …
(Lacht) Ja, und ich kann mich auch mit 43 Jahren noch nicht entscheiden, was ich werden möchte. Ich stamme aus einem ganz kleinen Dorf in den isländischen Westfjorden – das ist die Gegend, die im Buch auch beschrieben wird. Meinen Mann habe ich bei einem Jugendtreffen in Budapest kennengelernt. Wir haben zehn Monate lang zusammen in Island gelebt und wollte eigentlich dort sesshaft werden, aber dann hat uns beiden Deutschland doch so gut gefallen, dass wir hier geblieben sind. Das Buch ist entstanden, weil ich einfach ausprobieren wollte, ob ich das kann. Ich habe es auf Englisch geschrieben, mein Mann hat es ins Deutsche übersetzt und mir die Veröffentlichung zum 40. Geburtstag geschenkt.

Und, wird es weitere Bücher geben?
Ich denke schon. Ich habe ohne Ende Geschichten im Kopf und bin schon dabei, die nächste aufzuschreiben – nur die Zeit fehlt mir. Aber bis Ende des Jahres möchte ich fertig sein.

Sjöfn Müller Thór: Es war meine Schuld. Gaasterland-Verlag, 280 Seiten, 17,90 Euro.