Artikel teilen:

Eine Ahnung von Unschuld

Er ist schwarz, stark behaart und geht ganz selbstverständlich davon aus, dass die Welt es gut mit ihm meint: Karlchen, der Kater. Karlchen scheint absolut kein Arg zu kennen. Fröhlich geht er durch die Welt. Ist zutraulich, kehrt in jedes offene Haus ein, zum Essen und zum Schlafen. Die Welt ist sein Zuhause. Das Erstaunliche: Es funktioniert. Da, wo ortsansässige Katzen Futternapf und Sofa mit Zähnen und Krallen verteidigen, wo Hunde rasend reagieren, wenn jemand in ihr Revier eindringt – da ist Karlchen ein geduldeter Gast. Eigentlich dürfte es so etwas gar nicht geben. Bei Karlchen klappt‘s.
Warum? Man weiß es nicht. Karlchen strahlt – und ich weiß, wie merkwürdig das klingt, wenn man es von einem Kater sagt – Ruhe aus, so eine Art: Gott meint es gut mit mir und mit uns allen. Ihm fehlt jede Form von Aggressivität.

Inzwischen ist Karlchen eine kleine Berühmtheit. Er hat eine eigene Facebook-Gruppe („Wo hat Karlchen heute Nacht geschlafen“), in der die Leute Fotos, Zeit und Ort veröffentlichen, wenn sie Karlchen sehen. Seitdem ist sein Leben quasi in Echtzeit bekannt. Karlchen steigt zum Postzusteller ins Auto und macht eine Stadtrundfahrt. Er tigert über den Sportplatz, lässt sich im Mittelkreis nieder. Damit schaffte er es sogar ins Lokalfernsehen. Der Schiedsrichter musste das Spiel unterbrechen. Aber keiner war Karlchen böse. Und praktisch jede Nacht schläft der Kater in einem anderen Wohnzimmer.
Karlchen berührt die Menschen. Weshalb? Vielleicht, weil seine Arglosigkeit uns eine Ahnung von Unschuld zurückbringt. Einen Blick ins Paradies, wie es vor dem Sündenfall war. Eine Vorstellung davon, wie die Welt sein könnte, wenn wir einander nicht soviel Schlechtigkeit unterstellen und antun würden.