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Eindrückliche Einblicke von Kirchengemeinden in die Kriegszeit

„Am 10. März 1945 wurde die Konfirmationsfeier in der Kirche abgehalten. Wegen der Fliegeralarme begann der Gottesdienst schon um 8 Uhr. Aeusserlich schien alles ganz ruhig zu sein. Und doch klirrten unentwegt die Glasfenster der Kirche. Die Schlacht kam näher.“ So liest es sich in der „Kriegschronik“ der Evangelischen Kirchengemeinde Enzklösterle (Landkreis Calw).

Im April 1947 hatte die württembergische Kirchenleitung angeordnet, dass jede evangelische Gemeinde die Zeit des Nationalsozialismus, des Kriegs und der Besatzung in sogenannten „Kriegschroniken“ genau dokumentieren sollte.

Wie der Historiker Johannes Grützmacher auf dem Blog „Württembergische Kirchengeschichte online“ schreibt, kamen viele Pfarrer der Anweisung nicht nach, weil sie teils schlicht keine Zeit hatten und teils aber auch davor zurückschreckten, Gemeindeglieder bloßzustellen. Dennoch kamen bis zum Abschluss der Aktion zehn Jahre später so ungefähr 250 Kriegschroniken zusammen, die nun in insgesamt 7.000 Einzelaufnahmen digitalisiert und online zugänglich sind. „Ihr Umfang reicht von einer Seite bis über fünfzig Seiten, und ihre Qualität schwankt enorm. Insgesamt bilden sie aber eine einzigartige Quelle für die lokale Geschichte der NS-Zeit“, so die Einschätzung des Historikers.

In den Berichten, die meist die Ortspfarrer erstellten, ging es etwa um die militärische Einnahme der Städte und Dörfer, den Einmarsch US-amerikanischer und französischer Truppen, das Verhalten der Besatzungssoldaten, um Beschlagnahmungen, Plünderungen und Vergewaltigungen, aber auch um Rettung und Bewahrung.

Pfarrer Willy Binder berichtet in der Kriegschronik von Enzklösterle von dem tragischen Schicksal von Pfarrer Reger, der von seinem Kollegen Wilhelm Rehm aus dem Nachbarort Simmersfeld „für den Nationalsozialismus gewonnnen wurde.“ Rehm war ein glühender Nazi, baute den Nationalsozialistischen Pfarrerbund innerhalb der Württembergischen Landeskirche auf und wurde später Landesleiter der Deutschen Christen.

Reger habe sich erst mit der Machtergreifung Hitlers offen zum Nationalsozialismus bekannt, und sei der erste Ortsgruppenleiter der Gemeinde gewesen, heißt es in der Chronik. „Er setzte beide Bürgermeister ab und sorgte dafür, dass nur Mitglieder der Deutschen Christen im Kirchengemeinderat sitzen durften.“ Doch bald habe er sein Amt als Ortsgruppenleiter niedergelegt. Als er später sah, „welche Richtung die Partei einschlug, und wie der Kampf auch in kurzer Zeit gegen Christus geführt wurde, geriet er in schwere innere Nöte“.

Nach einem Radunfall, bei dem er schwer am Kopf verletzt wurde, habe Pfarrer Reger wegen der „seelischen und körperlichen Störungen“ eine „Gemütskrankheit“ bekommen. Bei einem Aufenthalt in einer „Heilanstalt“ habe er sich das Leben genommen, heißt es in der Chronik.

Pfarrer Johannes Josenhans aus Schorndorf schreibt von der Familie Guttenberger, die zur Volksgruppe der Sinti und Roma gehörte, und „mit unbekanntem Ziel abtransportiert“ wurde. „Da es sich um eine Familie handelte, die sich zum evangelischen Glauben bekannte, wurde dieses unbarmherzige Vorgehen doppelt schmerzlich empfunden.“ Später habe man erfahren, dass sie in Auschwitz an Hungertyphus starben.

Jakob Maier, Mitglied des Kirchengemeinderats Malmsheim (Kreis Böblingen) schreibt: „Ich saß manchmal in der Kirche im Gottesdienst, während auf der Strassde die ‘HJ’ ihre Sturmlieder brüllte, es wäre m.E. besser gewesen, wenn sie in der Kirche gewesen wären.“ Seinen Bericht endet er mit dem Satz: „Möge uns der Allmächtige vor solchen Zeiten bewahren!“ Eine Bitte, die auch 80 Jahre nach Kriegsende aktuell ist. (1074/11.05.2025)