Jetzt kommt sie wieder, die trübe Jahreszeit. Morgens beim Aufstehen und Verlassen des Hauses ist es noch dunkel und im schlimmsten Fall auch noch nass und kalt. Tausende von Schülerinnen und Schülern machen sich bei solch einem Wetter morgens auf den Weg zur Schule. So auch Johanna, eine Schülerin aus der sechsten Klasse, die wie jeden Morgen mit dem Fahrrad fährt. Mutter und Tochter verabschieden sich an der Haustür und dann geht es los.
Normalerweise kommt Johanna etwa zehn Minuten später gesund an der Schule an. Doch dieses Mal kommt alles anders – Johanna wird direkt vor der Schule von einem Auto angefahren. Im morgendlichen Trubel vor der Schule und bei schlechtem Wetter hat der Fahrer des Autos Johanna übersehen. Johanna stürzt zu Boden und muss mit einem Rettungswagen in ein Krankenhaus gebracht werden.
Unzählige Menschen haben diesen Unfall beobachtet: Schüler, Lehrer, Eltern, die ihre Kinder zur Schule bringen, andere Autofahrer und Passanten.
Um es vorweg zu nehmen: Johanna konnte direkt am Tag nach dem Unfall wieder die Schule besuchen. Es blieb bei einem großen Schreck und zum Glück nur sehr leichten Verletzungen.
Obwohl Johannas Unfall vergleichsweise glimpflich ausgegangen ist, hat er am Tag des Unfalls in der Schule dennoch für viel Aufregung gesorgt: Die Nachricht über den Unfall hat sich blitzartig herumgesprochen. Viele Schüler haben sich Sorgen gemacht, ob sie die betroffene Person kennen. Vielleicht ist es die Freundin aus dem Sportverein oder die eigene Cousine?
Gerüchte haben sich verbreitet und bei manchen Schülern ist auch die Phantasie durchgegangen. Einige Schüler, die den Unfall direkt beobachtet haben, waren sehr aufgeregt, andere saßen still und in Gedanken versunken in der Pausenhalle.
Und auch das Lehrerkollegium war verunsichert: Wie geht es der Schülerin, wie heißt sie, ist sie in meiner Klasse? Einem Lehrer ging es besonders schlecht: Er hatte vor ein paar Jahren selbst einen Menschen angefahren und nun kamen die ganzen Erinnerungen und Gefühle wieder hoch.
Klare Strukturen geben Sicherheit
Die Reaktionen machen deutlich, wie schnell aus einem „kleinen“ Unfall eine Krise mit vielen, unterschiedlich stark betroffenen Personen in der Schulgemeinde werden kann. Der Unfall von Johanna steht insofern exemplarisch für die vielen Krisen und Notfälle, die Schulen plötzlich und unerwartet treffen können: der unvorhergesehene Tod einer Lehrerin, der Suizid eines Schülers, ein schwerer Unfall im Sportunterricht oder auf Klassenfahrten.
Da solche Ereignisse nur bedingt verhindert werden können, ist es für Schulen wichtig, sich auf Krisen und Notfälle vorzubereiten und einen Krisenplan zu entwickeln, auch wenn kein Notfall dem anderen gleicht. Ein solcher Plan macht es möglich, in der Krise den Überblick zu behalten und strukturiert vorzugehen. Dadurch werden weitere Belastungen vermieden, wird Entlastung ermöglicht.
In vielen Schulen existiert für solche Fälle ein extra ausgebildetes, schulinternes Krisenteam, das im Krisenfall zusammengerufen wird, um das weitere Vorgehen zu steuern. Unterstützt werden Krisenteams bei Bedarf durch Experten der örtlichen Notfallseelsorge, die 24 Stunden am Tag über die Leitstelle der Feuerwehr zu erreichen sind, sowie die schulpsychologischen Beratungsstellen.
Unerlässlich ist bei der Krisenbewältigung zunächst, gesicherte Informationen an die Schulgemeinde weiterzugeben, da Gerüchte und Phantasien schnell zu weiteren Belastungen führen können. Außerdem sollten betroffene Personen in den ersten Stunden nach einem belastenden Ereignis die Möglichkeit haben, ihre Gefühle auszuleben, da ein verordneter Übergang in den normalen Unterrichtsalltag im Klassenverband sich negativ auf die Möglichkeiten der Verarbeitung des Erlebten auswirken kann.
Immer im Blick sollten hierbei nicht nur die Schülerinnen und Schüler sondern auch das Lehrerkollegium sein, da es je nach Art des Ereignisses und persönlicher Betroffenheit auch selbst stark belastet sein kann. Bei Bedarf sollte rechtzeitig externe Unterstützung angefordert werden, die beratend zur Seite steht.
Nachdem der erste Schock überwunden ist, können wenig bis gar nicht belastete Personen im Regelfall in relativ kurzer Zeit zu ihrem normalen Tagesablauf zurückkehren. Belasteten Personen aber sollte ein gesondertes Angebot zur Verfügung gestellt werden. Einzel- und Gruppengespräche sind hier ebenso möglich wie gemeinsame Aktivitäten. Bei Krisen mit einem Todesfall hat sich zum Beispiel die gemeinsame Einrichtung eines Gedenkortes oder ein Gang zur nächstgelegenen Kirche bewährt.
Bei der Vorbereitung auf schulische Krisen und Notfälle steht die Evangelische Kirche von Westfalen Schulen mit Rat und Tat und vielfältigen Angeboten zur Seite. Hierzu zählen Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer im Pädagogischen Institut oder in den Schulreferaten der Kirchenkreise sowie die Beratung von Krisenteams durch den Fachbereich Schulseelsorge des Pädagogischen Instituts oder den Fachbereich Seelsorge des Instituts für Aus-, Fort- und Weiterbildung.
Und auch im akuten Krisenfall werden Schulen unterstützt: Durch die Notfallseelsorge, die Schulseelsorge und Gemeinden vor Ort – gegebenenfalls bis zur Trauerfeier und Beisetzung. Bei aller Vorbereitung und Unterstützung bleibt aber natürlich dennoch zu hoffen, dass es möglichst wenig Krisen und Notfälle in Schulen gibt.