In der Siedlung, in der meine Großeltern nach dem Krieg bauten, gibt es die Tradition der sechs engsten Nachbarn. Das sind die Nachbarn, die jederzeit füreinander da sind. Sie helfen mit Eiern oder Mehl aus. Sie laden einander zu Feiern ein. Sie stehen einander bei in Krankheit und Trauer.
Als wir Anfang der 70er Jahre in ein kleines ostwestfälisches Dorf zogen, war es für meine Mutter selbstverständlich, dieses Denken mitzunehmen und zu leben. So händigte sie der äußerst verblüfften Nachbarin einen Schlüssel zu unserer Wohnung aus, damit sie im Notfall auch nachts für ihren kranken Vater denArzt anrufen könnte. Das hat sie ihr nie vergessen und so wurden aus Nachbarn Freunde.
Meine Kinder- und Jugendjahre verbrachte ich „in guter Nachbarschaft“. Besonders im Sommer wurde unsere Terrasse zum Treffpunkt. Lag sie doch auf dem Weg zum Friedhof, wo bei heißem, trockenen Wetter regelmäßig gegossen wurde. Auf dem Rückweg kam es zu Austausch, Plaudereien und nicht selten zu spontanen Grillpartys.
Heute lebe ich in der Stadt in einem Mehrparteienhaus. Alle arbeiten ganztags, selten kommt es im Treppenhaus zu Plaudereien. Doch in Zeiten der Not erfuhr ich auch hier gute Nachbarschaft und Hilfe.
Wer seine Nachbarn besser kennenlernen will, hat am 25. Mai Gelegenheit dazu. Die nebenan.de Stiftung hat erstmals einen „Tag der Nachbarn“ ausgerufen. Mehr dazu auf Seite 16.
Übrigens hat es der Nachbar auch ins Gesangbuch geschafft. Dort heißt es in einem meiner Lieblingsverse von Paul Gerhardt: „Verschon uns, Gott! mit Strafen, Und lass uns ruhig schlafen! Und unsern kranken Nachbar auch!“ (EG 482).