Artikel teilen:

Ein Kulturgut in zwei Welten

Gerade Viel-Leser nutzen unterwegs und auf Reisen gerne das „E-Book“ – als Ergänzung. Denn zu Hause greifen sie zum Schmökern nach wie vor zum traditionellen Buch

Goethe, Schiller, Hölderlin – die Klassiker der deutschen Literatur – durften im gutbürgerlichen Bildungshaushalt des 19. und 20. Jahrhunderts ebensowenig fehlen wie die Hausbibel. Zum traditionellen Buchbestand gehörte auch das im Großen Knaur, Großen Brockhaus oder in Meyers Enzyklopädie nachschlagbare versammelte Weltwissen. Buchbesitzerstolz. Greif- und – oft wichtiger – sichtbar. Bei Betuchteren in der Privatbibliothek. Sonst vorzugsweise in der „guten Stube“ im Bücherschrank.
Über Generationen weitergegeben fristet so manches gedruckte Statussymbol von einst heute in vielen Wohnzimmern ein eher  unbeachtetes, gleichwohl gut behütetes Dasein. Vielfach ungelesen verstaubt dort alte und weniger alte Weltliteratur in Poe­sie und Prosa und in vielen Teilen längst überholtes lexikographisches Wissen. Zum rein antiquarischen Zierat herabgewürdigt, in die Hand genommen allenfalls beim Frühjahrsputz, fressen standhafte Buchdeckel-Dinosaurier da viele Regalmeter.
Sein muss das nicht mehr. Denn viele Bücher, die Klassiker zumal, gibt es heute in digitalisierter Form als „E-Book“, zu lesen mit „E-Book-Reader“ oder mittels Lese-App auch auf Smartphone und Tablet-PC. Und das allgegenwärtige Internet stellt mit der Online-Enzyklopädie „Wikipedia“ seit 2001 Universalwissen platzsparend und – abgesehen von Strom und Nutzungsgebühren – kostenlos zur Verfügung. Ständig aktualisiert. Online für jeden verfügbar. Rund um die Uhr und überall, wo die Signale empfangen werden. 2015 verzeichnete der Internetriese 1,8 Millionen deutschsprachige Artikel. Ein unermesslicher Schatz.
Ist das herkömmliche Buch also bald passé? – Klare Antwort: nein.
Zwar hat die Online-Enzyklo­pädie manch kostenträchtigen zentnerschweren Bücher-Dino zu Fall gebracht; elektronische Bücher sind gefragt. Doch entgegen aller Befürchtung behauptet sich die alte gegenüber der neuen Bücherwelt. Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presseagentur halten gerade mal 13 Prozent der Befragten über 18 Jahre das gedruckte Buch für den persönlichen Gebrauch für verzichtbar. Die anhaltend starke Vorliebe für das Kulturgut „aus Fleisch und Blut“ belegen auch Studien des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Mitsponsor des alljährlich am 23. April gefeierten „Welttag des Buches“. Bei Viel-Lesern gilt das besonders für die Lektüre zu Hause. Unterwegs und auf Reisen wählen auch sie oft die gewichtsarme elektronische Variante als willkommene Ergänzung.
Das bestätigt auch Dörte Melzer, Leiterin der Büchereifachstelle der Evangelischen Kirche von Westfalen. Die Nachfrage nach gedruckter Literatur in Gemeindebüchereien ist nach Beobachtung der Diplombibliothekarin kaum verändert. Einzig für Großdruckausgaben wie etwa der Bibel sehe es düster aus. Denn in der Digitalversion könne der Schriftgrad je nach Sehvermögen vergrößert werden. Für viele Ältere ein dickes Plus.