Im Sommer 2024 gab es in Süddeutschland schwere Überschwemmungen. Mancherorts wirkt sich das Hochwasser bis heute aus – im negativen wie im positiven, wie zwei Beispiele aus Schwaben und Oberbayern zeigen.
Solche Sachen zieht sie täglich übers Kassenband, doch selber kann sie sie nicht haben: “Pizza, Eis, Zutaten zum Kuchenbacken”, zählt Ina Bergmann auf. “Würd’ ich auch gerne mal wieder kaufen, geht aber nicht.” Ina Bergmann arbeitet als Verkäuferin – und lebt seit einem Jahr auf einer Baustelle. Im Sommer 2024, während der großen Überschwemmungen in Süddeutschland, durchspülten Flutwellen das Haus der 57-Jährigen im bayerisch-schwäbischen Günzburg, 1,70 Meter hoch. Seither gibt’s in der Küche im Erdgeschoss keinen Strom mehr, also keinen Kühlschrank, keinen Backofen, keine Gefriertruhe.
In dieser Küche sitzt Ina Bergmann nun mit ihrem Mann Georg, 60. Campingkocher, loser Putz und rohe Ziegel an der Wand – das Provisorium ist unübersehbar. Monatelang hätten sie nach dem Hochwasser auf Handwerkerangebote warten müssen, erzählt Ina Bergmann. “Die wurden ja nicht nur bei uns gebraucht”, wirft ihr Mann ein. “Bei anderen kamen sie aber schneller. Denn wir hatten keine Elementarschadenversicherung”, fügt die Ehefrau hinzu. Warum nicht? “Wir hatten noch Schulden auf dem Haus, meinem Elternhaus, das wir renoviert haben. Außerdem bin ich hier aufgewachsen; so ein Hochwasser gab’s hier noch nie.”
Ina Bergmann spricht leise, immer wieder stiert sie auf den Tisch: “Kinderfotos, Familienstammbuch, Versicherungen – alles weg.” Die Dinge zum Anfassen sind das eine. Das andere ist die Seele. “Du funktionierst nur noch”, fasst die Frau ihre Gefühlswelt zusammen. Ihr Mann nickt kaum merklich. Sie ergänzt: “So was hinterlässt Schäden in einem. Feste meidest du. Die Leute feiern, das verträgst du nicht.”
Vier Kinder haben die Bergmanns, zwei wohnen noch daheim. Daheim, das heißt für die Familie seit einem Jahr: im ersten Stock, auf halb so viel Raum wie früher. “Die Stimmung ist oft gereizt”, sagt Ina Bergmann.
Freilich auch wegen der Finanzen. Bayerns Staatsregierung geht von einem Gesamtschaden von etwa 4,1 Milliarden Euro durch das Sommer-Hochwasser 2024 in Süddeutschland aus. Der Anteil der Bergmanns daran ist winzig, für die Familie aber aus eigener Kraft kaum zu stemmen. “Gut 100.000 Euro”, flüstert Ina Bergmann. Viel, viel Geld, das sie als Verkäuferin und ihr Mann als Monteur nicht mal eben wieder reinholen können. “Noch vier Jahre, dann wäre das Haus schuldenfrei gewesen”, seufzt sie. “So lange haben wir dafür an allen Enden gespart, am Essen, am Urlaub. Dann wollten wir endlich mal leben. Tja.”
So hart es die Bergmanns getroffen hat, andere traf es noch schlimmer. In Bayern starben durch die Flut vier Menschen; ein Feuerwehrmann gilt als vermisst. Kann es trösten, dass man wenigstens mit dem Leben davongekommen ist? Gibt sonst etwas Kraft? Georg Bergmann bleibt stumm. Seine Frau schüttelt den Kopf. “Mein Enkel”, haucht sie dann.
Im August will endlich der Elektriker kommen. Kostenvoranschlag: 16.000 Euro. Die Bergmanns hoffen auf den Härtefonds für Hochwasserhilfen des Günzburger Landratsamtes. Einen Antrag dafür haben sie mit Sylvia Frey-Dorsch gestellt.
Frey-Dorsch ist im September 2024 vom katholischen Caritasverband für die Region Günzburg und Neu-Ulm für ein Jahr für die Hochwasserhilfe eingestellt worden. Anfangs hatte sie hauptsächlich damit zu tun, Betroffene bei solchen Anträgen zur Hand zu gehen. Inzwischen sei sie umfassender gefordert. “Ich telefoniere Stromanbieter und Handwerker ab, hole Kostenvoranschläge ein, hake nach, wenn’s allzu lange dauert.” Das sei manchmal zermürbend. “Zugleich ist es schön, den Menschen helfen zu können.”
Die Caritas bietet auch psychosoziale Unterstützung an. “Insbesondere persönliche Gespräche, in denen Menschen ihre Sorgen teilen können”, erklärt Frey-Dorsch. Das wäre auch für sie nützlich, meint Ina Bergmann. Im Moment jedoch habe sie dafür noch keinen Kopf.
Die Günzburger Caritas gehört zum Diözesanverband Augsburg. Das gleichnamige Bistum war von der Flut besonders stark betroffen. Insgesamt 539.000 Euro hat der Diözesanverband nach eigenen Angaben für Hochwasserhilfe eingesetzt, etwa für Beratungsleistungen, Kinderprogramme und Trocknungsgeräte.
Ebenfalls im Bistum Augsburg liegt das oberbayerische Schrobenhausen. Auch dort gab es massive Überschwemmungen. Sie verwüsteten unter anderem die katholische Kindertagesstätte Maria Ward. In der Folge fand die Kita Unterschlupf im Gemeindezentrum der muslimischen Ditib-Gemeinde. Sie ist bis heute dort. “Wenn die Bauarbeiten wie geplant voranschreiten, können wir das neue Kita-Jahr im September aber an alter Stelle eröffnen”, sagt Leiterin Ines Lohner.
Wie es geklappt hat mit der katholischen Kita im islamischen Gemeindehaus? “Reibungslos”, antwortet Lohner. “Wir haben uns bestens einrichten können und unser ganz normales Angebot abgehalten.” Für die Kinder habe es sogar eine Verbesserung gegeben, ergänzt die Erzieherin im Hinblick auf den riesigen Hof vor der Moschee: “So viel Platz zum Toben und Rumfahren werden sie wohl nie wieder haben.”