Sankt Martin und der zugehörige Laternenumzug sind in vielen Kindergärten fest im Jahreskalender verankert. Neben dem Brauchtum spielt die Geschichte vom geteilten Mantel dabei eine zentrale Rolle. Ab welchem Alter können Kinder diese Geschichte verstehen? Und ab wann sind sie selbst bereit zu teilen? Darüber sprach Andreas Laska mit Markus Paulus, Professor für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie der frühen Kindheit an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Herr Professor Paulus, was fasziniert die Kinder am Martinsfest und seinem Brauchtum?
Ich denke, da kommen verschiedene Dinge zusammen: das Gemein-schaftserlebnis, die Vorfreude durch die gemeinsame Vorbereitungszeit und das gemeinsame Basteln, nicht zuletzt auch die Tatsache, dass der Umzug im Dunkeln stattfindet mit Feuer und Kerzen. Feuer ist für Kinder immer etwas Spannendes.
Das Brauchtum rankt sich um die Legende, wonach der Heilige seinen Mantel mit einem frierenden Bettler geteilt hat. Nun haben gerade kleine Kinder ihre liebe Not mit dem Teilen. Können Sie die Botschaft des Festes überhaupt verstehen?
Paulus: Ab spätestens drei Jahren können Kinder diese Geschichte durchaus nachvollziehen. In diesem Alter teilen Kinder selber schon, sie haben auch schon ein gewisses Gespür für Fairness und Gerechtigkeit. In Versuchen haben wir etwa gese-hen, dass Kinder, wenn sie Objekte wie Gummibärchen oder Spielzeug zwischen Personen verteilen sollen, diese Dinge ganz gleichmäßig aufteilen. Oft protestieren sie auch, wenn jemand einem anderen nichts abgeben will oder die Dinge nicht ge-recht verteilt. Daran sieht man, dass viele Kinder schon in diesem Alter solche Normen verinnerlicht haben.
Ein wenig erstaunt Ihre Antwort, gehört doch der Streit ums Abgeben und Teilen zu den Klassikern bei Kindergeburtstagen und Spielplatzbesuchen.
Wir müssen hier verschiedene Ebenen unterscheiden. Einerseits wissen die Kinder, was sie tun sollten, anderseits fällt es ihnen persönlich noch schwer, sich entsprechend zu verhalten. Das liegt vor allem daran, dass bei kleinen Kindern die Fähigkeit zu Impulskontrolle und Selbstbeherrschung noch nicht sehr stark ausgeprägt ist. In Studien konnten wir hier Zusammenhänge nachweisen: Je besser ein Kind sich schon selbst beherrschen kann, desto eher ist es auch in der Lage abzugeben und zu teilen.
Welche Hilfestellungen können Eltern und Erzieher geben, damit Kinder das Teilen lernen?
Da gibt es einige Ideen. So konnten wir in Studien feststellen, dass es gut ist, dem Kind die emotionalen Folgen seines Handelns aufzuzeigen, ihm also zu erklären, dass das andere Kind sich freut, wenn es etwas abbekommt beziehungsweise traurig ist, wenn niemand mit ihm teilt. Umgekehrt kann man einem Kind auch vermitteln, dass es für einen selber schön ist zu teilen, weil einem die Freude des anderen dann auch selbst Freude bereitet. Generell konnten Studien aufzeigen, dass sich Kinder aus Familien, in denen Emotionen regelmäßig thematisiert werden, leichter tun mit dem Teilen, weil sie mehr Empathie zeigen. Und natürlich spielt die Erziehung zur Selbstkontrolle eine Rolle. Wenn etwa Eltern ihren Kindern vorleben, dass man eine Sache erst zu Ende bringt, ehe man etwas anderes anfängt, und das auch erklären, dann lernen sie, dass es wichtig ist, einem Impuls nicht sofort nachzugeben.
Eben fiel das Wort Empathie. Auch sie ist zentral für die Martinslegende. Ab wann verstehen Kinder, dass es einem anderen Menschen schlecht geht?
Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Hier kommt es sehr darauf an, wie schlecht es dem anderen tatsächlich geht, und vor allem, in welcher Form er das zeigt. Generell sehen wir schon im Alter von etwa 18 Monaten erste Zeichen von Empathie. So richtig deutlich wird das dann ab etwa zwei Jahren. Wenn etwa in Versuchen einer meiner Mitarbeiter einen Schmerz simuliert, dann kommen schon kleine Kinder, sehen sich das an, fragen nach oder erzählen vielleicht sogar, dass sie auch schon einmal ein „Aua“ hatten.
Und wann kommt der nächste Schritt, das heißt die Erkenntnis, dass man dem anderen helfen kann, wenn man selbst aktiv wird und vielleicht etwas abgibt?
Das beginnt etwa im Alter von zwei bis zweieinhalb Jahren. Da reden die Kinder dann nicht nur über die Schmerzen, sondern bieten an, ein Pflaster zu holen. Oder ein Kind, das selbst zwei Luftballons hat, gibt einen davon einem anderen Kind, dessen Luftballon gerade zerplatzt ist. Deutlich schwieriger ist es, wenn das Gegenüber nicht deutlich zeigt, dass es ihm schlecht geht oder dass es zu wenig hat. In einem Versuch haben wir hierzu Kinder mit zwei Testpersonen konfrontiert, von denen eine sehr viele, die andere aber sehr wenige Aufkleber hat. Die Kinder selbst hatten auch Aufkleber und wurden aufgefordert, diese an die beiden Testpersonen abzugeben. Jüngere Kinder haben ihre Aufkleber gleich verteilt, das heißt, sie haben nicht berücksichtigt, dass die eine Person schon zu Beginn des Versuchs mehr Aufkleber hatte. Erst Vier- bis Fünfjährige bekommen ein Gespür für die ungerechte Verteilung und geben deutlich mehr Aufkleber dem, der weniger hat.