Von der ländlichen Arbeitskleidung über Wiesn-Outfit und Brautmode bis zu Haute Couture: „Das Dirndl ist ein modischer Alleskönner“, sagt der Direktor des Staatlichen Textil- und Industriemuseums (tim) in Augsburg, Karl Borromäus Murr. Vom 4. April bis 19. Oktober ist dort die Sonderausstellung „Dirndl – Tradition goes Fashion“ über die Geschichte des Dirndls ab dem 19. Jahrhundert zu sehen. Gezeigt werden 100 Dirndl – darunter auch das Original-Dirndl von Romy Schneider, das sie als Kaiserin Elisabeth von Österreich in den „Sisi“-Filmen trug, oder Kreationen der Designerin und bekennenden Dirndl-Liebhaberin Vivienne Westwood.
„Würde jede Frau ein Dirndl tragen, so gäbe es keine Hässlichkeit mehr“, hat die englische Punk-Designerin Westwood, die mit einem österreichischen Modemacher verheiratet war, einmal gesagt. Auch Museumsdirektor Murr findet: „Alle können ein Dirndl anziehen.“ Und ein Dirndl sei schon immer auch Mode gewesen – im Gegensatz zur Tracht mit ihren strengen Kleidungsvorschriften, die sich je nach Region und konfessioneller Prägung unterscheiden. Bei einem Dirndl hingegen gebe es keine Vorgaben, außer dass es grundsätzlich aus drei Teilen besteht: einer Bluse, einem Kleid mit Miederoberteil und einer Schürze. Es besteche durch seine Einfachheit, sagt Murr.
Doch der Reihe nach: Der Siegeszug des Dirndls begann im 19. Jahrhundert, als es noch ein rein bäuerliches Arbeitskleid gewesen sei, erzählt Murr. Dank der bayerischen Monarchen und später der Sommerfrischler wurde das Kleid nach und nach auch im bürgerlich-städtischen Milieu en vogue. Maximilian II. (1811-1864) habe die heimische Tracht für ein bayerisches Identitätsgefühl gefördert und Ludwig II. (1845-1886) die Gründung des ersten bayerischen Trachtenvereins 1883. Parallel dazu seien der Heimatgedanke, die Romantisierung des bäuerlichen Lebens und Urlaub in den Bergen in Mode gekommen – und damit auch Dirndl und Lederhosen, erzählt Murr.
Im 20. Jahrhundert mauserte sich das Dirndl endgültig zum „weltweiten Markenbotschafter Bayerns“, sagt Murr. Im Jahr 1900 eröffnete der gebürtige Bielefelder Julius Wallach, den das Haus der Bayerischen Geschichte sogar als „Erfinder der bayerischen Tracht“ bezeichnet, ein Geschäft in München, das schnell zur Top-Adresse für Trachtenausstattung wurde. International bekannt wurden die Stoffe und Muster aus dem Hause „Wallach“, die auch in der Ausstellung gezeigt werden, durch die Operette „Das weiße Rössl“ ab 1930. Im Zuge der „Arisierung“ beraubten die Nationalsozialisten die jüdische Familie Wallach um ihren Besitz – die Brüder Julius und Moritz emigrierten in die USA, Bruder Max starb im KZ Theresienstadt.
Populär waren Dirndl und Lederhosen auch im NS-Regime: Nazigrößen posierten gern in Tracht und wollten das Heimatgefühl ideologisch vereinnahmen, erzählt Murr. Der Popularität des Dirndls tat dieser Vereinnahmungsversuch aber keinen großen Abbruch: Ab den 1950er Jahren waren es vor allem Filme, die dem Dirndl wieder mehr Aufmerksamkeit brachten: die „Sisi“-Reihe mit Romy Schneider und der mit fünf Oscars prämierte Hollywood-Film „The Sound of Music“ (1965) über die Salzburger Trapp-Familie. Ein Dirndl der Trapp-Tochter Maria Franziska (1914-2014) ist ebenfalls in der Ausstellung zu sehen. Der Film, der in Deutschland nahezu unbekannt ist, prägt laut Museumschef Murr das alpenländische Image bis heute.
Zu sehen sind in der Ausstellung neben historischen Dirndln auch Wiesn-Outfits, die berühmten hellblauen Dirndl der Münchner Olympia-Hostessen von 1972, Dirndl der Lufthansa-Stewardessen, die sie während der Wiesn tragen, sowie Modelle von diversen Designerinnen wie Vivienne Westwood oder Lola Paltinger, die schon die US-It-Girls Paris Hilton und Kim Kardashian für ihren Wiesn-Besuch ausstattete. Dazu kommen Entwürfe mit internationalen Einflüssen, wie etwa von Rahmée Wetterich und Marie Darouiche, gebürtig aus Kamerun, die das Münchner Modelabel „Noh Nee“ gegründet haben. Sie benutzen für ihre „Dirndl à l’Africaine“ afrikanische Stoffe, verzieren das Miederoberteil gern auch mal mit Kauri-Muscheln – und verbinden so laut eigener Aussage zwei Kulturen.
Ausgestellt sind außerdem Kimono-Dirndl (Japan), Sari-Dirndl (Indien) oder Dirndl, die der portugiesischen Tracht nachempfunden sind. Das Dirndl habe in der Welt ein sehr positives Image, sagt Museumschef Murr. Deshalb wollten auch viele Touristen beim Münchner Oktoberfest Dirndl und Lederhosen tragen. Dass das Dirndl so gut über Länder- und Kulturgrenzen hinweg funktioniere und dabei eine solche integrative Kraft entwickle, sei schon etwas Besonderes, sagt Murr, der auch Lehrbeauftragter für Europäische Ethnologie und Volkskunde an der Universität Augsburg ist. Für ihn steht daher fest: „Ein Dirndl ist mehr als nur ein Kleid.“ (1100/01.04.2025)