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Ein birmanischer Journalist erlebt den Bürgerkrieg in Myanmar

Mar Naw ist ein Journalist, der Haltung zeigt. Es geht ihm aber nicht um eine bestimmte Ideologie oder Partei, sondern um die Freiheit seines Landes von der Herrschaft des Militärs.

Der Fotoreporter Mar Naw aus Kachin lebt seit einiger Zeit im Exil in Chiang Mai im Norden Thailands. Aber immer wieder geht er hinein nach Myanmar, verbringt Wochen an Brennpunkten des Bürgerkriegs, dokumentiert mit seiner Kamera den Kampf seiner Landsleute gegen die Junta und das Militär. Bei dem Gespräch in einem Cafe in Chiang Mai im Juni ist Mar Naw gerade erst zurück aus den Regionen Mon und Tanintharyi. “Ich war mit Einheiten der revolutionären Kräfte am Highway Nr. 8 unterwegs”, erzählt der 29-Jährige, der mit seinem Basecap und dem Bart leicht verwegen wirkt.

Myanmar hat die Form eines Drachens mit einem langen Schwanz, der nach Süden entlang der Malaiischen Halbinsel ausgreift. Dort liegen die Regionen Mon und Tanintharyi. Beide grenzen im Westen an die Andaman See, während Tanintharyis Nachbar im Osten Thailand ist. Durch beide Regionen verläuft der Highway Nr. 8. Der ist mit dem Asia Highway verbunden, der von der Grenze Thailands nach Mon und von dort zu den Hafenstädten Myeik und Dawei in Tanintharyi, dem südlichsten Teil Myanmars, führt.

“Derzeit kontrollieren die revolutionären Kräfte 60 Prozent der Straße, was den Handel der Junta als auch den Import von Waffen beeinträchtigt”, erzählt Mar Naw. Die Armee versuche durch Offensiven die Kontrolle über die Autobahn zurückzuerlangen. “Aber die revolutionären Kräfte halten stand und kämpfen.” Mon und Tanintharyi sind Hotspots des Bürgerkriegs in Myanmar, auch wenn sie nicht so sehr in den Schlagzeilen sind wie Rakhine, Kachin, Kayah oder Sagaing.

Als Studentenaktivist wurde Mar Naw 2015 verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Nach der Entlassung arbeitete er als Fotoreporter für die “Myanmar Times”. Gleich nach dem Militärputsch im Februar 2021 wies die Armee die Medien des Landes an, die Putschisten nur bei ihrem selbst gewählten Namen “Staatsverwaltungsrat” und nicht Junta zu nennen. “Als die Leitung der ‘Myanmar Times’ den Befehl akzeptierte, habe ich noch am gleichen Tag zusammen mit 30 Kollegen gekündigt”, erzählt Mar Naw. Für ihn begann eine Odyssee. Mal verbrachte der Reporter einige Monate im Staat Shan, mal in Sagaing, mal in Kayah.

Er fotografierte für seinen neuen Arbeitgeber “Frontier Myanmar” als auch für internationale Medien die Proteste und den Kampf gegen die Junta. Seine Basis für die Zeiten zwischen den Einsätzen in Myanmar ist das friedliche Chiang Mai in Thailand. Die Stadt ist zu einem Zentrum für Exilbirmanen und Standort der von der Junta verbotenen und von Thailand stillschweigend akzeptierten Medien wie den Portalen Irrawaddy, Mizzima, Democratic Voice of Burma oder eben “Frontier Myanmar” geworden.

Wie Mar Naw gehen viele birmanische Journalisten nach Myanmar hinein, berichten unter schwierigsten Bedingungen über den Bürgerkrieg, die Gräueltaten der Armee, das Leid der Zivilbevölkerung. Für das Magazin “Irrawaddy” zum Beispiel arbeiten nach eigenen Angaben 35 Reporter im Grenzgebiet oder undercover in Myanmar. Fünf Journalisten berichten für “Frontier Myanmar” aus dem Land. “Das ist sehr gefährlich. Sie können jederzeit verhaftet oder getötet werden”, sagt Frontier-Redakteur Danny Fenster im Gespräch in Chiang Mai.

Der Amerikaner weiß, wovon er spricht. Kurz nach dem Putsch 2021 wurde er in Yangon verhaftet, verbrachte gut acht Monate unter menschenunwürdigen Bedingungen im berüchtigten Insein-Gefängnis. Wenige Tage nach seiner Verurteilung wegen Volksverhetzung zu elf Jahren Haft im November 2021 kam der 40-Jährige durch die Intervention des ehemaligen UN-Botschafters Bill Richardson frei. Mindestens 69 Journalisten sind derzeit in Myanmar in Haft. Myat Thu Tun war im Februar dieses Jahres der fünfte Journalist, der im Gefängnis offenbar ermordet wurde.

Die Fotos von Mar Naw zeigen, mit welch einfachen Waffen zehn verschiedene Widerstandsgruppen in Mon und Tanintharyi erfolgreich gegen eine hochgerüstete Armee kämpfen. “Sie bauen aus Plastikflaschen Benzinbomben und befestigen sie an Drohnen, die eigentlich für den Einsatz in der Landwirtschaft bestimmt waren”, erzählt Mar Naw. Gegen die Bombardements der Luftwaffe seien Milizen und Zivilbevölkerung aber machtlos. Viele Dörfer seien verlassen oder zerstört worden und die Bewohner lebten in provisorischen Lagern. “Vor Bombenangriffen konnten wir uns nur in einfachen Erdbunkern schützen.” Zum Alltag des Reporters im Kriegsgebiet gehört aber auch der Tod von Kämpfern. Auch das – die Trauer, die Begräbnisse – hält Mar Naw mit seiner Kamera fest.

Mar Naw ist bei seiner Arbeit an der Front immer in Gefahr, selbst Opfer eines Bombenangriffs oder bei Gefechten von einer Kugel getroffen zu werden. “Meine Eltern wissen, was ich tue. Sie machen sich große Sorgen”, weiß er. Ein Heimatbesuch bei der Familie in Kachin sei aber unmöglich. “Das ist zu gefährlich. Ich wäre dort nicht sicher.”