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Durch Mehrheitsbeschluss zu entscheiden?

UK 20/2016, Leserbriefe (Seite 14: „Europäische Kirchen wären in der Minderheit“)

Der Leserbriefschreiber meint, die Frage zu homosexuellen Partnerschaften sei mehrheitlich durch Ablehnung entschieden. Aber theologische Fragen lassen sich nicht per Abstimmung entscheiden, sondern nur durch das Abwägen theologisch gewichtiger Argumente. 

Dabei darf die entscheidende Tatsache nicht übersehen werden, dass wir heute wissen, homosexuelle Neigungen sind nicht Sünde, sondern angeboren. Auch ich habe in dieser Hinsicht umlernen müssen. Die Öffnung für homosexuelle Partnerschaften folgt nicht einfach einem modernen Trend, sondern dem Wissen, dass Homosexualität als genetisch bedingt angesehen werden muss. Die biblischen Autoren waren insgesamt der Meinung, darin hat der Leserbriefschreiber Recht, homosexuelle Beziehungen seien Unzucht und daher Sünde. Deshalb lehnten sie diese ohne Ausnahme ab. Ebenso, wie sie meinten, die Erde sei eine Scheibe im Mittelpunkt der Welt. Für uns heute ergibt sich aufgrund unseres genaueren Wissens eine neue Situation.

Die ethischen Normen für unser Verhalten können wir nicht eins zu eins aus der Bibel übernehmen, sondern wir dürfen dabei unser Wissen nicht unberücksichtigt lassen. Leitfaden für unsere ethischen Normen muss das Evangelium sein, die Botschaft der Bibel, dass Jesus durch seine Worte und Taten und durch sein Schicksal uns Gottes Liebe zugewandt hat, so dass wir sie uns nicht selber verdienen müssen. 

Das dazu angemessene christliche Verhalten muss dieser Botschaft entsprechen und muss immer wieder neu gefunden werden. Die Zehn Gebote können uns dabei eine Hilfe sein, den rechten Weg zu finden. Aber das Wissen der Gegenwart muss dabei immer mitbedacht werden. Daraus folgt, dass wir heute nicht mehr wie die biblischen Autoren über Homosexualität denken dürfen. Die Frage ist vielmehr: Was sind christlich verantwortbare homosexuelle Beziehungen angesichts der Tatsache, dass Homosexualität zu den uns von Gott geschenkten Gaben gehört.

Die Zuverlässigkeit der Bibel wird durch solchen Umgang mit ihr nicht angetastet, wie manche Evangelikale meinen. Im Gegenteil, wir leben davon, dass uns die Botschaft der Bibel, das Evangelium zuverlässig gilt. Nur die Aussagen über unser Verhalten eins zu eins in die heutige Zeit zu übertragen ist nicht möglich. Übrigens tun das die Evangelikalen hinsichtlich von Todesstrafe und Sklaverei ja zu Recht auch nicht mehr, obwohl beides als selbstverständlich in der Bibel vorausgesetzt wird.

Den Umgang mit denen, die ihre Schwierigkeiten mit gleichgeschlechtlicher Liebe haben, kann uns Paulus lehren, indem wir studieren, wie Paulus mit den Leuten in Korinth umgegangen ist, die den Genuss von Opferfleisch ablehnten (1. Korinther 8), ohne dass wir auch hier den biblischen Befund eins zu eins in unsere heutige Zeit übertragen müssten. 

Dr. theol. Rudolf Vandrée, Siegen