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“Drachenzähmen leicht gemacht” – eine sehr gelungene Realverfilmung

Von Hass, Feuer und Freundschaft – die Realverfilmung von “Drachenzähmen leicht gemacht” bringt neue Wucht in eine alte Geschichte. Ideal besetzt, mit einer berührenden Geschichte und aufregenden Effekten.

Widerborstig und engstirnig ziehen sie marodierend von Land zu Land. Als Schrecken aller Siedlungen wird gebrandschatzt und geraubt, als wenn es kein Morgen gäbe. Die Rede ist nicht von den wilden Wikingern, zu denen der junge Hicks angehört. Die Rede ist von Drachen, den sagenhaften feuerspeienden Artverwandten der Dinosaurier, die den Bewohnern des Wikingerdörfchens Berg das Leben wortwörtlich zur Hölle machen.

Auch Hicks ist ganz Kind seiner Horde: Darauf getrimmt, als Drachentöter die Liebe und Anerkennung seines Vaters zu erringen, unterscheidet sich der Sohn von Häuptling Haudrauf (großartig bärbeißig: Gerard Butler) nicht von seinen Altersgenossen, die vor allem eins eingetrichtert bekommen: Drachen töten – sofort bei Sichtung. Zumal auch Hicks Mutter einem Drachenangriff zum Opfer fiel.

Zwischen Drachen und Wikingern herrscht ein ewiger Krieg nach dem Motto “Entweder WIR oder DIE”. Abweichler werden nicht geduldet in dieser Gemeinschaft voller versehrter Körper mit fehlenden Gliedmaßen. Zerquetscht, zerbissen, verbrannt blieben sie auf den Schlachtfeldern im Kampf gegen die gewaltigen Urgetiere zurück.

Das klingt nicht nach einem Kinderfilm – und tatsächlich hat die Real-Verfilmung von “Drachenzähmen leicht gemacht” von der FSK einen “Ab 12-Stempel” aufgedrückt bekommen. Das entspricht eher der mitgewachsenen Fangemeinde der erfolgreichen Animationsfilmreihe aus dem Hause Dreamworks, weniger dem gemeinsamen Familienausflug ins Kino – und tut dem Spaß und der Emotionalität dennoch keinen Abbruch.

Die Wikinger-Kinder in ihrem brandgefährlichen Kampf um den Titel “Drachentöter” sind herrlich überzeichnet – auch mal am Rande des politisch Unkorrekten. Der pechschwarze Drache “Ohnezahn” ist in seiner Mimik zwischen Angst, Hass und Neugierde niedlich animiert. Und die uralte Geschichte einer Annäherung zweier Erzfeinde, die im schuppig-ruppigen Gewand ihre Vorurteile überwinden müssen, berührt. Vielleicht gerade weil hier eine realiter unmögliche Kombination aufgeführt wird, die schon Erfolgsreihen wie “Game of Thrones”, “Eragon” oder “Harry Potter” ihre Fantastik verliehen: Von Drachen und Menschen.

Für solch eine Annäherung braucht es besondere Helden. Auch der junge Hicks ist nicht nur anders, er fühlt sich mitsamt negativer Konsequenzen auch so anders, wie viele Kinder und Jugendliche in seinem Alter. Tollpatschig und vermeintlich schwachbrüstig ist Hicks eine Schande in den Augen der beschämten Wikingerschaft – und doch klug in seinen technischen Konstruktionen, mit denen er den Drachen auf den Pelz rücken möchte.

Tatsächlich erwischt Hicks mit seiner Steinschleuder gleich zu Beginn einen Drachen-Vertreter, der wie er aus der Art geschlagen scheint: Ein Nachtschatten! Der pechschwarze Drache nutzt die Dunkelheit als Tarnung und ward bislang von niemandem gesehen. Als er abgestürzt und gefesselt vor Hicks gezückten Messer liegt, zögert der Junge voller Mitleid – weil er sein eigenes ängstliches Selbst in den neongrünen Augen aufblitzen sieht. Eine Freundschaft entsteht zwischen den beiden Außenseitern, die durch ihren Sonderstatus endlich eine Verständigung ermöglichen. Auch wenn jede Interaktion mit “Ohnezahn” zunächst symbiotische Züge annimmt…

Dabei ist es nicht so, dass der Übergang in die Realfilmwelt stolperfrei gelingt: Die eigentliche Brutalität der potentiell tödlich ausgehenden Kämpfe zwischen Drachen und Menschen sorgt für eine gewisse logische Absurdität. Welche Eltern würden ihre einzigen Kinder schon kurzerhand in eine Drachenkampf-Arena schicken, in der in jeder Unterrichtsstunde mit dem Leben buchstäblich gezündelt wird.

Unwirklich unvernünftig mutet in der Realverfilmung auch die Fahrt in die Höhle des Löwen, oder besser in die Schlucht der Drachen an, in der die wie Zahnstocher zerbrechlichen Boote der Wikinger geradewegs in den Hinterhalt rudern. Hier erlangt die Realverfilmung von “Drachenzähmen leicht gemacht” eine Unglaubwürdigkeit, die im Animationsfilm schlicht durch die künstliche Machart nicht derart ins Auge fiel.

Was immer noch bleibt, sind atemberaubende wortwörtliche Ausflüge in der Höhe und ein überzeugendes, kaum an Aktualität zu übertreffendes Plädoyer, den blinden, über Generationen überlieferten Hass zu überwinden: Lieber gemeinsam gegen die Unterdrücker kämpfen, als sich gegenseitig das Leben schwer zu machen und sich nur als (Fress)Feinde zu sehen. Letztendlich geht es auch um Themen, die jede Coming of Age-Erzählung schmücken: Die Positionierung in der Welt zwischen elterlichen Ansprüchen, individuellen Grenzen und Talenten.

Das betrifft auch die grenzenlose Entwicklung der Tricktechnik, durch die es mittlerweile möglich ist, selbst die fantastischsten Wesen die Leinwand erklimmen zu lassen. Relativ zeitnah zum Kinostart der Live-Action-Flauschtiere von “Lilo & Stitch” folgt nun die schuppige Drachenhorde von “Drachenzähmen leicht gemacht”. Die kürzlichen Real-Verfilmung von Disneys “Arielle” und “Schneewittchen” warfen bereits die Fragen nach Nutzen und Grenzen einer Adaption auf, die viele Jahrzehnte voller Gender- und Rassismusdiskurse später erfolgt. Narrative Innovationen, wie sie die Märchenverfilmung “Schneewittchen” unternommen hat, ist in “Drachenzähmen leicht gemacht” nicht zu finden – andererseits liegt der erste Animationsfilm-Teil von 2010 auch noch nicht so lange zurück.

Wenn man nichts verändert, außer die Animationsbilder in (nicht weniger animierte) Realfilm-Flüge zu verwandeln, kann man sich auch nichts vorwerfen lassen – vor allem nicht von den Fans der Vorlage. Dean DeBlois, der bereits für die drei Animationsfilme in Sachen Drehbuch und Regie verantwortlich zeichnete, enttäuscht auch in der Realfilm-Adaption seines eigenen Stoffes nicht. Never change a winning team, das gilt nicht nur für Hicks und Ohnezahn. Und so setzt sich “Drachenzähmen leicht gemacht” als erste Dreamworks-Live-Action-Verfilmung durch die pure Kopie nicht in die Nesseln wie zuvor “Schneewittchen”. Die Frage der Legitimation angesichts von so wenig Variation darf dennoch gestellt werden.