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Die Zauberkraft der Bilder

Klick, klick, klick – viele Menschen sehen ihren Urlaubsort nur durch das Auge ihrer Kamera. Nur wer sich Zeit nimmt, bringt Bilder nach Hause, die die Ferien unvergesslich machen

Rawpixel.com - Fotolia

Die Urlaubszeit ist für die meisten Menschen die kostbarste Zeit des Jahres. Und da ist eine Tätigkeit besonders wichtig: das Knipsen – möglichst alles muss per Handy, Smartphone, Tablet oder Kamera festgehalten werden. Und was fängt man später an mit einer solchen Bilderflut? Urlaubsfotos sollen uns zuhause an die schöne Zeit des Urlaubs erinnern. Aber ist man überhaupt noch offen für die Schönheiten der Urlaubsregion, wenn man ständig am Knipsen ist?

Blick durch Kamera kann Perspektive verengen

Die amerikanische Psychologin Linda Henkel von der Fairfield University in Connecticut hat da ein interessantes Experiment gemacht. Sie ließ zwei Gruppen durch ein Museum gehen, eine mit Kamera und der Aufgabe, möglichst viel per Foto festzuhalten, und eine Gruppe ohne Kamera. Hinterher verglich sie die Erinnerungen der Besucher. Das Ergebnis: Diejenigen, die nicht fotografiert hatten, konnten am nächsten Tag besser und detaillierter beschreiben, was sie gesehen hatten. Der Blick durch die Kamera kann also die Perspektive verengen.
Andererseits ist es schön, Eindrücke fotografisch festzuhalten. Eine zweite Studie ergab, dass sich Fotografen, die auf bestimmte Details zoomen und erst dann auf den Auslöser drücken sollten, am nächsten Tag besser erinnern konnten – und zwar nicht nur an das Detail, sondern an den gesamten Gegenstand.
Was aber fördert nachhaltige Erinnerung? Friedrich Dürrenmatt beschreibt eine wesentliche Voraussetzung: „Jeder kann knipsen. Auch ein Automat. Aber nicht jeder kann beobachten. Fotografieren ist nur insofern Kunst, als sich seiner die Kunst des Beobachtens bedient. Beobachten ist ein elementar dichterischer Vorgang. Auch die Wirklichkeit muss geformt werden, will man sie zum Sprechen bringen.“
Das einfühlsame Beobachten, das sich Zeit nimmt für Überraschungen, für das Unerwartete, sollte im Urlaub viel Raum gewinnen. Wer fotografieren will, muss warten können, bis ihm „das Bild“ begegnet. Damit reduziert sich die Quantität der Fotos, aber die Qualität wird gesteigert.
Zum Beobachten brauchen wir nicht nur offene Augen, sondern das „dritte Auge“, das das Wesen der Dinge erspürt, das Auge des Herzens. Die Kunst des Sehens ist von großer Bedeutung, die wir in unserer reizüberfluteten Zeit wieder neu lernen müssen. Wer versucht, die Langsamkeit in seinen Urlaub zu integrieren, der wird entdecken, dass die Fotos so zu Bildern werden, die über sich hinausweisen, zu Sinnbildern und Geheimnisträgern, die später kreative Erinnerungen wachrufen.

Urlaubsfotos können den Alltag bereichern

Die Langsamkeit schult das Auge für die verborgene Schönheit des Gewöhnlichen. So können Urlaubsfotos dazu inspirieren, den grauen Alltag besinnlicher zu gestalten und uns öfter eine kreative Pause der Erinnerung zu gönnen, die uns ermutigt und uns eine kleine Glücksinsel schenkt. Solche Bilder werden zur Nahrung für unsere Seele, die oft noch lange ihre Wirkung entfaltet und die Kraft der Verwandlung in sich trägt. Dann geschieht es nämlich, dass die Wirklichkeit, die wir in einem Augenblick des Urlaubs mit der Kamera eingefangen haben, zu uns zu sprechen beginnt.
Woher aber kommt unsere Faszination für Bilder? Der Schriftsteller Erhart Kästner, bekannt durch seine meditativen Griechenlandreiseberichte, schreibt dazu: „Die Seele ernährt sich von Bildern: So ist es seit uralter Zeit. Bild muss werden, was aus Eindruck, Erfahrung, Ahnung und Kenntnis erwächst. Zauberkraft wohnt nur im Bild.“
Vielleicht steckt in dieser Aussage ein Schlüssel für das, was der Sinn des Fotografierens – nicht nur im Urlaub – ist. Wir haben das Bedürfnis, die Zeit festzuhalten, Dinge, Menschen, Augenblicke unvergesslich zu machen, weil wir wissen und spüren, dass alles vergänglich ist. Ist es da nicht erstaunlich, dass nur wenige Fotos in uns zu Bildern werden, die in unserer Erinnerung bleiben und zeitlebens Quellen der Freude sind?