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Die Verrohung der Debatte

Hilfsbereitschaft, Angst, Hass – in der Flüchtlingsdebatte schießen die Emotionen immer höher. Wenn wir zu einer tragfähigen Lösung kommen wollen, müssen wir im Ton abrüsten

Die einen: „Ich könnte k….., wenn ich diese braune Soße sehe.“ Die anderen: „Alle diese Flüchtlingsversteher gehören an den Galgen.“ Der Ton in der Flüchtlingsdebatte verroht immer mehr. Wer in den vergangenen Wochen die Beiträge in Zeitungen, Fernsehen und sozialen Netzwerken im Internet verfolgt hat, traut Augen und Ohren nicht mehr: Beim aufeinander Draufhauen scheint es keine Grenzen mehr zu geben.

Sicher, es geht um viel. Die einen fürchten um Sicherheit, Ordnung und Wohlstand, sehen das Ende des Abendlandes hereinbrechen. Die anderen können nicht verstehen, wie man angesichts zigtausendfachen Leides hartherzig die Grenzen schließen und Menschen in Not und Tod schicken will.
Aber: Rechtfertigt das die Art der Auseinandersetzung?
Das ist zum einen eine Stilfrage. In einer guten Kinderstube sollten wir gelernt haben, andere nicht zu beleidigen, ihnen zuzuhören, stets das bessere Argument zu suchen. Tatsächlich scheinen sich jetzt eher Wut, Zorn und Aggressionen den Weg zu brechen.
Zum anderen muss man sich fragen, ob Beleidigungen und unflätige Worte nicht auch taktisch unklug sind. Wie will ich jemanden erreichen, wenn ich nicht wenigstens versuche, ihm das Gefühl zu geben, dass ich ihn ernst nehme?
Man kann natürlich sagen: Das bringt nichts mehr. Die Anderen, die sind nicht mehr zu erreichen. Wenn das beide Seiten voneinander behaupten – und so sieht es momentan bei Demonstrationen à la Pegida und entsprechenden Gegendemonstrationen aus –, dann führt das genau zu der Situation, vor der Psychologen und Therapeuten warnen: Es gibt keine Chance mehr zur Verständigung.
Es ist wichtig, Position zu beziehen. Laut zu widersprechen, wenn Dinge behauptet werden, die man unhaltbar findet. Aber so? Mit verbalem Kanonendonner statt mit Argumenten?
Kürzlich berichtete eine Freundin von einer Taxifahrt durch Berlin. Der Fahrer schwadronierte über Lügenpresse und unfähige Politik. Das alles, so meinte er, würde in einem Bürgerkrieg enden, und er würde sich dann seiner Pflicht nicht entziehen.
Das ist hoffentlich maßlos überzogen, zeigt aber die Richtung: Die Bevölkerung driftet in der Frage, wie man mit der Not der Flüchtlinge umgehen soll, immer weiter auseinander. Wo führt das hin, wenn man sagt: Die Anderen sind nicht mehr zu erreichen? Wenn man 30, 45 oder über 50 Prozent der Bevölkerung (Umfrageergebnisse schwanken je nach Fragestellung) als dumm, verblendet, moralisch abseitig aufgibt? Was heißt das für eine Demokratie?
Wir müssen die Auseinandersetzung führen. Ja. Auch hart. Aber wir müssen auch zurück zum Reden. Zum aufeinander Hören. Auch wenn es noch so schwerfällt, die Meinung des Anderen zu ertragen. Und aufhören, einander zu beleidigen, lächerlich machen zu wollen, einander zu disqualifizieren.
Das mag schwerfallen. Zumal es tatsächlich Menschen geben wird, die nicht mehr erreichbar sind. Aber weiß irgendjemand eine Alternative, wie uns die Sache nicht um die Ohren fliegen soll?