Artikel teilen:

Die Suche nach Gottes Finger

Die Abläufe der Natur sind faszinierend vielfältig – und noch längst nicht hinreichend erforscht. Gott werden wir mit Hilfe der Naturwissenschaften trotzdem nicht finden

„Existiert Gott? 16 klare Gottesbeweise“. Oder: „Jesus Christus Quantenphysiker“. Immer mal wieder taucht ein solcher Titel auf dem Büchermarkt auf. Das Versprechen darin lautet: Gott lässt sich mit Hilfe der Naturwissenschaften finden, ja, mehr noch: Mit ihren Messungen und Berechnungen können wir beweisen, dass es Gott gibt – und endlich den Vorwurf loswerden, dass Gläubige doch nur einem Hirngespinst nachlaufen.

Die Sehnsucht danach ist groß. Das zeigt die Vielzahl der Versuche, Gottes Finger in irgendeinem naturwissenschaftlichen Ablauf zu finden. Beliebtes Spielfeld dieser Gottesforschung ist etwa Darwins Theorie von der Entwicklung der Arten. Obwohl die Kirchen sie anfangs entrüstet ablehnten, geben sich heute bestimmte christliche Glaubensgemeinschaften große Mühe, Gott seinen Platz in der Evolution zuzuweisen. Nur mit Hilfe seiner ordnenden Hand sei ein komplexes System wie unsere Welt denkbar, lautet die These.

Ein anderes Gebiet der Gottessuche ist die Quantenphysik. Die Beobachtung, dass sich die kleinsten Bestandteile unseres Universums nicht ausschließlich auf berechenbaren Bahnen bewegen, sondern ein bisher undurchschaubares Eigenleben führen, ist faszinierend. Und sie lässt viel Platz für religiöse Spekulationen: Sind diese anscheinend chaotischen Abweichungen vielleicht der Mechanismus, mit dem Gott in die Welt eingreift?

Und dann wäre da noch die Hirnforschung. Vor einigen Jahren behauptete der Genforscher Dean Hammer, eine Gen-Variante entdeckt zu haben, die durch bestimmte Botenstoffe im Gehirn eine Vorstellung von Transzendenz erzeugt, also das Gefühl, dass es etwas über das Menschsein hinaus gibt. Gläubige waren begeistert: Endlich ein handfester biologischer Baustein, der auf Gott hinweist – denn warum sollte es so ein Gen geben, wenn es keinen Gott gibt?

Damit sind wir mitten im Dilemma: Innerhalb des Systems der Naturwissenschaften existiert kein Beweis dafür, dass es Gott gibt – aber genauso wenig dafür, dass es ihn nicht gibt. Das liegt aber weder an Gott noch an der Wissenschaft, sondern daran, dass man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen kann.

Naturwissenschaft und Glaube sind keine Gegner. Sie sind aber auch keine Verbündeten. Sie betrachten und deuten die Welt aus ganz verschiedenen Blickwinkeln und ordnen sie in ganz verschiedene Systeme. Das macht keine von beiden besser oder schlechter, im Gegenteil: Beide helfen uns, uns in unserer Welt zurechtzufinden.

Vermischen sollten wir sie aber nicht. Das führt nämlich zu einer Vorstellung von Gott, vor der schon in den Zehn Geboten gewarnt wird: Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es da. Wer Gott in die Abläufe von Chemie, Physik oder Biologie pressen will, tut genau das und macht Gott zu einem Götzen. Besser: Gott göttlich sein lassen. Und staunen über die Wunder der Schöpfung, die uns die Naturwissenschaften zeigen.