Artikel teilen:

Die Marilyn Monroe des New Yorker Punk

Wasserstoffblonde Haare, lippenstiftrote geschwungene Lippen und ein cooler Blick: Im kollektiven Gedächtnis wird Debbie Harry immer so bleiben wie auf Andy Warhols Siebdruck-Porträt von 1980. Als Frontfrau der New Yorker New-Wave-Band „Blondie“ mischte sie die Musikszene der späten 1970er und 1980er Jahre auf. Songs wie „Heart of Glass“, „Denis“ oder „Maria“ wurden Welthits. Beim Musiksender MTV liefen „Maria“ und frühere Videos rund um die Uhr. Mit Coolness, Sex und Stil revolutionierte Harry lange vor Madonna und Lady Gaga das Image von Musikerinnen.

Am 1. Juli wird sie nun 80 Jahre alt. „Das Schlimme am Älterwerden ist, dass alle schon weg sind“, sagte Debbie Harry kürzlich in einem Interview. Für ihren Geburtstag hoffe sie jedoch, mit ihren Freunden zusammen zu sein – und auch das Leben des im April an Krebs gestorbenen Blondie-Drummers Clem Burke zu feiern. Und sie werde auch ihr eigenes Leben feiern, unterstrich sie.

Debbie Harry kann auf eine außergewöhnliche Karriere als Model, Schauspielerin und Musikerin zurückblicken. Sie war eine Rebellin und in der Punk- wie in der Kunstszene New Yorks zu Hause. Neben Andy Warhol zählte auch der Underground-Schriftsteller William Burroughs zu ihren Freunden.

„Ich habe eine Illusion verkauft“, sagte Debbie Harry einmal dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Die Idee sei gewesen, das Image einer süßen und unschuldigen Blondine mit dem einer nonchalanten und sexy blonden Hollywoodsirene für eine Rockband zu kombinieren: „Ich wusste, dass ich das draufhatte. So was hatte es bis dahin nicht gegeben.“

Harry hat einen Imagewandel von Frauen im Musikgeschäft vorangetrieben. In ihren Songs habe sie über Dinge gesungen, über die Frauen damals sonst nicht gesungen hätten, schrieb sie in ihrer 2019 erschienenen Biografie „Face it“. Statt den Mann anzubetteln, doch bitte wieder nach Hause zu kommen, habe sie ihm „einen gewaltigen Tritt in den Hintern“ gegeben und ihn hinausgeschmissen.

Auch für den Pop-Experten und Münsteraner Germanistikprofessor Moritz Baßler war das Neue an Debbie Harry, „dass sie einerseits das Image einer blonden Marilyn-Monroe-artigen Frau verkörpert und zugleich überzeugende Bandleaderin einer New-Wave-Band ist“. Und der Kurator des Gronauer Rock’n’Popmuseums, Thomas Mania, erklärt: Mit ihrem musikalischen Werk, „das ebenso rebellisch wie hitparadentauglich daherkommt“, spinne sie einen Traditionsfaden, den später Madonna und dann auch Lady Gaga aufnahmen und weiterführten.

Das Markenzeichen ihrer Band „Blondie“ war die Kombination von Rock- und Punkrhythmen mit eingängigen Melodien früherer Popgirl-Bands. Fasziniert war Harry schon früh von Marilyn Monroe: Bei ihr habe sie „die Verletzlichkeit und die besondere Weiblichkeit regelrecht spüren können“, erzählte die Musikerin einmal. Erst später habe sie herausgefunden, dass Monroe ein Pflegekind gewesen sei – wie Harry.

Debbie Harry wurde am 1. Juli 1945 in Miami als Angela Trimble geboren. Im Alter von drei Monaten haben Richard und Catherine Harry sie adoptiert, bei ihnen wuchst Deborah Ann Harry in beschaulich-konservativen Verhältnissen in New Jersey auf. Nach zwei Jahren brach sie das College ab und machte sich nach New York auf, wo sie unter anderem als Tänzerin und Bunny-Kellnerin jobbte.

In angesagten Bars und Nachtclubs wie Max’s Kansas City oder dem berühmten Punk-Club CBGB fand sie schnell Anschluss an die Kunst- und Musikszene. Mit dem Gitarristen Chris Stein, mit dem sie 15 Jahre zusammen war, gründete sie „Blondie“. Musik machte sie aber auch als Solokünstlerin. Außerdem spielte sie in knapp 60 Filmen und Filmprojekten mit.

Mit „Maria“ gelang der wiedervereinigten Band „Blondie“ 1999 noch einmal ein glanzvolles Comeback. Die letzten Blondie-Veröffentlichungen „Pollinator“ (2017) und „Ghosts of Download“ (2014) konnten nicht mehr an die großen Erfolge anknüpfen.

Anders als Rock-Urgesteine wie Mick Jagger erliegt Harry nicht der Versuchung, mit fast 80 Jahren das aufmüpfige Punk-Girl auf der Bühne zu geben. In diesem Stadium ihres Lebens habe sie für Live-Auftritte „keine Nerven mehr“, beschied sie Anfang des Jahres der britischen „The Times“.

Sie wolle „nicht wirklich die gleiche Art von Leben“, das sie gehabt habe, als sie jünger gewesen sei, sagte Harry der „Times“. „Soll ich jede Nacht ausgehen und feiern?“ Das Schöne am Älterwerden sei, „man weiß jetzt, worum es geht“, erklärte sie: „Du hast es in deinem Herzen und in deiner Seele und in deinen Erinnerungen.“

Aus der Öffentlichkeit verschwinden wird Debbie Harry trotzdem auch mit 80 Jahren nicht: Aktuell ist sie auf dem Song „Heart’s a Liar“ des „Erasure“-Musikers Andy Bell zu hören. Und sie ist das Kampagnengesicht der neuen „Gucci Blondie“-Tasche.