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Der poetische Western

Die Regisseure, die sich heute am Westerngenre versuchen, könnte man durchaus in zwei Lager unterteilen. In den Filmen der einen wird meist im Galopp geritten, die anderen ziehen den geruhsameren Trab vor, der Pferd und Reiter schont.

In Viggo Mortensens neuem Western galoppieren die Pferde nur, wenn es sich absolut nicht vermeiden lässt. Er kostet lieber die beschaulichen Freuden des Genres aus. Geduldig schaut er zu, wie Reiter sich ihren Weg durch einsame, raue Landschaften bahnen. Sein Blick ist empfänglich für deren lyrische Vielgestalt und Schroffheit. Zugleich beweist er Traditionsbewusstsein, denn so genügsam und erhaben beginnen auch viele Klassiker des Genres: mit dem unaufwendigen Schauspiel der Ankunft eines Helden, der in der Wildnis zu Hause ist und sich alsbald seiner Bestimmung stellen muss.

Mortensen ist als Darsteller wie geschaffen für diesen Rollentyp. Als Regisseur gehört er beiden Fraktionen an. Er liebt das Genre und dessen Ort, aber in einem ganz eigenen Zeitmaß. Somit beginnt „The Dead Don’t Hurt“ mit einer rissigen Montage von Gegenwart, Vergangenheit und Danach, die heillose Verwirrung stiftet. Die ersten Momente gehören gar der Sphäre des Traumes an und führen seine Heldin vom Totenbett stracks in die Vorstellungswelt ihrer Kindheit.

Mortensen zerlegt das Genre in seine Elemente – die Freiheitssuche in der Weite der Natur und das Faustrecht der Zivilisation, die Verheißung einer neuen Heimat und den gewaltsamen Tod -, um sie fortan neu zu überprüfen. Das eigentliche Abenteuer, von dem er erzählt, ist eine Liebesgeschichte. Der Western bildet hierfür nicht allein die Kulisse, sondern schafft die historischen Bedingungen.

Es ist zugleich eine Einwanderergeschichte, in der verblüffend viele Sprachen und Akzente zu hören sind. Anfang der 1860er Jahre treffen in San Francisco die Frankokanadierin Vivienne (Vicky Krieps) und der Däne Olsen (Mortensen) aufeinander. Sie mustern sich erwartungsvoll. Aber mit der Liebe auf den ersten Blick ist noch nichts gewonnen. Es gilt, die Eigenständigkeit des Gegenübers zu respektieren. Sie ergreift gern die Initiative, weiß ihre Wünsche und Abneigungen unverblümt zu formulieren – seine kleine Farm im Niemandsland von Nevada ist in ihren Augen einfach nur schäbig -, und er findet bald die richtigen Antworten darauf.

Die Idylle, die allmählich entsteht, trägt ihre gemeinsame Handschrift. Als der Bürgerkrieg ausbricht, entschließt er sich, die Union zu verteidigen. Zuvor hat er in der dänischen Armee gedient und will nun erfahren, wie der Krieg in der neuen Heimat ist. Die Enttäuschung zerreißt sie, aber sie wird sich ihren eigenen Lebensunterhalt erstreiten. Wofür Menschen kämpfen, ist auch für sie seit der Kindheit eine existenzielle Frage.

Olsen verschwindet nun für lange Zeit aus dem Film. Er ist nicht da, um Vivienne zu beschützen, als ihr entsetzliches Leid widerfährt. Der Junge, den er bei seiner Rückkehr vorfindet, ist nicht sein Sohn und wurde gegen den Willen seiner Frau gezeugt. Bevor dafür Vergeltung geübt wird, wächst eine neue Familie zusammen.

Mortensens Figuren muten modern an. Aber sie fallen nicht aus ihrer Zeit, sondern sind deren Härten ausgesetzt. Sie sind aufgeklärte Sinnsucher, die sich ihren eigenen Reim auf die Welt machen, sich irren können und Fehler begehen. Er zeichnet sie gewitzt und ohne Gefallsucht: Sie müssen weder den Geschmack traditioneller Westernfans treffen noch heutigen Moden genügen. Dabei schürft Mortensen tief in den mythischen Wurzeln des Genres: der Figur des Ritters, in dessen Nachfolge seine aufrechten Helden stehen.