Von Veit Hoffmann
Herzliche Grüße aus Istanbul! Mit dem Pfarrkonvent Tempelhof sind wir hier unterwegs und erkunden für einige Tage die quirlige Metropole.
In dieser grandiosen Stadt gibt es wunderbare Brücken. Die mächtige Atatürk-Brücke zum Beispiel, die sich über das Goldene Horn spannt. Vor ihr möchte man auf die Knie gehen. Besonders in der Abenddämmerung, wenn sie in verschiedenen Farben erstrahlt, in rot, grün oder blau, die Rufe der Muezzins von allen Hügeln herunter hallen und unzählige Dampfer und Jollen und Frachter kreuzen.
Fast unscheinbar und regelrecht banal erscheint dagegen die Galata-Brücke. Auch sie überbrückt das Goldene Horn. In schmerzlichem Hellblau liegt sie platt da. Sie ist kein Wunderwerk der Ingenieurskunst wie die Atatür-Brücke. Eigentlich ist dieses Stahlungetüm hässlich. Doch gerade hier erfährt man den ganzen Charme Istanbuls. Diese Brücke verbindet zwei völlig verschiedene Stadtteile miteinander: Das sittenstrenge, konservative Viertel Eminönü mit dem fröhlichen Viertel Beyoglu. Sie verbindet Unvereinbares miteinander. Doch nicht nur von einem Ufer zum anderen. Sie selbst ist eine Art Stadtteil auf zwei Stockwerken, der das Gestern und das Morgen beherbergt. Oben stehen die Angler dicht gedrängt. Sie spießen Köder auf ihre Angelhaken und fischen ein paar Meeräschen oder Bastardmakrelen für das Abendbrot. Dazwischen Händler und Schuhputzer. Alte Männer schleppen Kiepen auf ihren Rücken Richtung Eminönü. Manche schieben dreirädrige Holzkarren in die gleiche Richtung. Es riecht nach gebrannten Kastanien und gegrilltem Fisch und nach Abgasen, die der tosende Verkehr in die Luft bläst.
Im unteren Stockwerk der Brücke befindet sich das Unverschleierte, das Verweilen, der Barmixer, der Alkohol, das Lachen, der Lippenstift, die Restaurants, deren Tische unter dem gewaltigen Getöse des Verkehrs wackeln.
Jede Zeit hat ihren Sokrates, Istanbul hat die Galata-Brücke. Ich stehe auf dieser Brücke, um mich herum brandet der Verkehr zwischen Gestern und Morgen, zwischen Eminönü und Beyoglu und ich frage mich, wohin geht die Fahrt der Türkei? Nach Europa oder in den Orient?