Die Frage nach dem wichtigsten, zentralen Gebot beantwortet Jesus schriftgemäß. So haben schon Generationen vor ihm geantwortet, und so tun es Juden bis heute. Das hebräische „Shema!“ – „Höre!“ wurde im Deutschen zum „Schema“ und meint alles, was gleichbleibend vonstattengeht. Im hebräischen Shema liegt das „Grundbekenntnis“ des Glaubens, die Konstante des Lebens schlechthin. Der Satz ist das Erste und das Letzte, was ein Mensch lernt und braucht. Dieses Bekenntnis zum alleinigen, einzigen Gott ist an die Wände der Konzentrationslager geritzt worden und steht auf hohen Balken am Eingang von Synagogen. Das „Shema-Israel“ ist ähnlich typisch wie das „Allahu akbar!“, das „Gott ist größer als alles!“ der Muslime, mit dem sie durchs Leben und sogar in den Tod gehen, und dem „Kyrie eleison!“, dem „Herr, erbarme dich!“ von uns Christen oder dem „Vater unser“, mit dem wir Gott anrufen dürfen, wo immer wir sind und wie immer es um uns steht.
Man muss die Begriffe richtig ausloten: Gott „lieben“, also nicht nur über ihn nachdenken; „von ganzem Herzen“, aus meiner Mitte; „von ganzer Seele“, also allem, was in mir atmet; „von ganzen Gemüt“, also mit Herz und Verstand; kurzum mit „aller Kraft“, mit aller unserer Macht und sogar in der Ohnmacht. Die Beziehung zu Gott ist allumfassend, sie ist darum niemals nur Privatsache, sondern umgreift, erfüllt, prägt den Menschen „ganzheitlich“ in ausnahmslos allen seinen Lebensbezügen.
Diesem zentralen Gebot ist das zweite gleichgestellt, das uns an den verweist, der „mit uns Mensch ist“, den Mit-Menschen, dem wir „Nächster“ werden können und sollen. Wobei man auch übersetzen kann: Du sollst „die“ Menschen oder überhaupt „den“ anderen lieben, dich ihm zuwenden, ihn wertschätzen, und zwar „wie dich selbst“. Dieses Korrektiv ist nötig, weil Liebe sich selbst entwertet, wenn sie zur Selbstaufgabe wird. Liebe ist Erfüllung, nicht Opferung oder auch nur Geringschätzung des eigenen Lebens. Sowohl vor Gott als auch in der Gesellschaft gilt, dass ich mir der eigenen Gaben und des eigenen Wertes bewusst sein muss, um meine Gaben für meine Aufgaben richtig entfalten und einsetzen zu können.
Nehmen ist schwieriger als Geben, weil es das Eingeständnis der eigenen Bedürftigkeit voraussetzt. Geben kann ja auch etwas sehr von oben herab geschehen. Diese arme Witwe aus 12,41 tritt vor Gott – zwar niedrig und gering, aber sie bewahrt ihre Würde, als sie alles, was sie zum Leben hat, Gott anvertraut. Sie wirft sich auf den, der ihr das Leben gegeben hat.
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Woche vom 13. bis 19. Oktober Sonntag: Psalm 123 Montag: Markus 12,28-34 Dienstag: Markus 12,35-40 Mittwoch: Markus 12,41-44 Donnerstag: Markus 13,1-13 Freitag: Markus 13,14-23 Samstag: Markus 13,24-37