Nach der Generation der Augenzeugen folgten diejenigen, die wie Markus und auch vorher schon Paulus die frohe Botschaft schriftlich zum Ausdruck brachten, aus verschiedenen Gründen – wie wir sahen. Mit den Briefen an Timotheus und auch Titus wächst das Neue Testament nun wiederum ein Stückchen weiter. Diese „Episteln, Briefe“ sind aber sicher nicht mehr von Paulus geschrieben, wie man früher dachte, sondern die Absender machen auf diese Weise darauf aufmerksam, dass sie mit ihrer Arbeit in paulinischen Tradition stehen und von ihm ihre „Beglaubigung“ herleiten. Die „Söhne“ des Paulus stehen vor der Frage, wie sie auf seinen Fundamenten weiter bauen sollen: Wie muss man diese Glaubensgrundlagen unter den neuen Problemstellungen verstehen und was ist der richtige Weg für die junge Christenheit? Aus der Aufbruchsstimmung ist eine Aufbaustimmung geworden. Im Unterschied zu den „großen Paulusbriefen“, die an wichtige, zentrale Stadtgemeinden in Rom oder Korinth, Saloniki oder Philippi gerichtet waren, gehen diese Schreiben an Einzelpersonen. Timotheus und Titus sind dabei durchaus prominente Schüler oder besser: apostolische Mitarbeiter gewesen, aber sie müssen nun mit eigener Autorität Entscheidungen treffen, das Evangelium in ihre Zeit verkündigen und in ihrer Gegenwart als Einzelne und als Gemeinde und auch schon als Kirche leben, sie ordnen und leiten.
Die drei genannten Briefe nennt man deswegen Pastoral-, also Hirtenbriefe, weil sie sich mit den Fragen beschäftigen, die sich bei der Führung einer größeren Gemeinde stellen. Die genauere Datierung ist schwierig und hängt davon ab, ob man das „Gezänk“ in 1. Timotheus 6,20 als einen allgemeinen, warnenden Hinweis auf die ziemlich weit verbreitete Bewegung der „Gnosis (=Erkenntnis)“ oder als eine konkrete Anspielung auf die „Streitsätze“ des „Erzketzers Marcion“ ansieht. Dieser umtriebige und fanatische Feuerkopf eiferte so ab dem Jahre 130 in der römischen Gemeinde, später dann vor allem in Kleinasien. Er hat übrigens vehement versucht, die Entstehung des Neuen Testaments (also die Kanonbildung) zu stören, indem er massiv in den bislang überlieferten Text eingreifen und unliebsame Stellen (wie Römer15,1-16; Lukas 22,19b-20, Römer 16,25-27) streichen wollte. Wie auch immer: Die Pastoralbriefe sind wahrscheinlich am Anfang des 2.Jahrhunderts in Kleinasien, der heutigen Türkei entstanden, wohl rund um die großen Zentren Ephesus (heute Efes, vgl. 1. Timotheus 1,3), Patara oder Myra, die damals wesentliche christliche „Stützpunkte“ waren. Wobei für die zeitliche Einordnung ihrer Abfassung wahrscheinlich die Reihenfolge 1. Timotheus –Titus – 2. Timotheus anzunehmen ist.