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Die Bibel lesen

Woche vom 8. bis 14. September

Sonntag:    Psalm 78, 1-31
Montag:     Matthäus 13, 47-52
Dienstag:     Matthäus 13, 53-58
Mittwoch:     Matthäus 14, 1-12
Donnerstag:     Matthäus 14, 13-21
Freitag:     Matthäus 14, 22-36
Samstag:     Matthäus 15, 1-20

Warum erzählt Jesus immer wieder Gleichnisse von der Königsherrschaft der Himmel? Wer das ganze Matthäusevangelium liest, erhält auf diese Frage eine schlüssige Antwort: Jesus „wird sein Volk von seinen Verfehlungen retten“ (1,21b), indem er es zum Umdenken angesichts eines unaufhaltsamen Herrschaftswechsels anleitet. „Umdenken“, nicht „Buße tun“. Es geht Jesus im Matthäusevangelium nicht um reuige Verarbeitung zurückliegender Schuld, sondern um aktive Gestaltung des gegenwärtigen und zukünftigen Lebens inmitten familiärer, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Konflikte. Jesus lehrt vom Himmel her zu denken. Das „vom Himmel her denken“ bringt der Abschluss der Gleichnisrede auf den Punkt: „Darum ist jeder Schriftgelehrte, der von der Königsherrschaft der Himmel zum Schüler gemacht wurde, gleich einem Hausherrn, der aus seiner Schatzkammer Neues und Altes hervorbringt.“ (13,52)

Wer von der Königsherrschaft der Himmel zur Schülerin, zum Schüler gemacht wurde und deswegen aus dem Schatz des Alten und des Neuen Testaments heraus Gott und die Welt und auch das eigene Leben bedenkt, wird aus dem Matthäusevangelium nicht nur die schönen und heilvollen Passagen herauspicken, sondern auch seine vielfältigen Warnungen vor den Folgen böser Taten ernst nehmen, wie sie etwa das Gleichnis vom Fischnetz (13,47-50) schildert. Dem üblichen Denken, „nach mir die Sintflut“, stellt die Herrschaftsansage vom Fischnetz entgegen: Ihr werdet euch verantworten müssen, jetzt und über den Tod hinaus – darauf zielt die biblische Rede vom Zorn und vom Gericht Gottes. Wer diese Rede und Gegenentwürfe wie das Gleichnis vom Fischnetz in seiner Schatzkammer unbeachtet liegen lässt, denkt nicht vom Himmel her, sondern banalisiert das Alte wie das Neue Testament.

Mit dem neuen Denken der Schülerinnen und Schüler vom Himmel her erhalten dann auch die Erzählungen von Jesu Ablehnung in seiner Heimatstadt (13,53-58), von der Ermordung Johannes des Täufers durch Herodes (14,1-12) und Jesu Streit mit den Pharisäern in 15,1-20 eine hoch dramatische, Zeiten verschränkende und übergreifende Dimension über den Tod hinaus.

Und auch die in diesen Abschnitt verwobenen Wundergeschichten wollen vom Himmel her gedacht werden. In ihnen werden die gewohnten Grenzen des Machbaren durchkreuzt von der damals wie heute wirksamen Machtfülle der Königsherrschaft der Himmel. Sie lässt nicht mit sich rechnen, sie lässt sich nicht vermarkten oder instrumentalisieren, aber sie lässt sich dankbar und vertrauensvoll vom Himmel her denkend erbeten, erhoffen, erbitten.

Dr. Stefan Alkier ist seit 2001 Professor für Neues Testament und Geschichte der Alten Kirche am Fachbereich Evangelische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main.