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Die Bibel lesen

Woche vom 5. bis 11. November

Sonntag:    Psalm Psalm 69, 17-37
Montag:     Hesekiel 20, 1-17
Dienstag:     Hesekiel 20, 30-44
Mittwoch:     Hesekiel 33, 10-20
Donnerstag:     Hesekiel 33, 21-33
Freitag:     Hesekiel 34, 1-16
Samstag:     Hesekiel 34, 23-31

Im Kapitel 18 kam es bereits zum Ausdruck: Der Prophet Hesekiel bringt ein neues Verständnis des Glaubens zum Ausdruck. In seiner Stellung vor Gott steht jeder und jede Einzelne zwar im Verbund des Gottesvolkes, aber eben auch allein als unverwechselbares Individuum, als Ich vor Gott. Der Mensch vor Gottes Angesicht ist so als Persönlichkeit gesehen, das durch kein Kollektiv bestimmt ist oder seine ethische Verantwortung darauf ablenken kann.

Gewiss können die neuen Generationen nur da weiter bauen, wo Elterngenerationen aufgehört haben, und stehen insofern auf ihren Schultern, auf ihren Erfolgen, aber auch auf ihren Zerstörungen und ihrer Schuld. Sie sind zwar Erben und das auch mit aller Verantwortung, werden aber nicht in Schuldhaft genommen. Für den einzelnen Menschen kommt es darauf an, dass er sich zu Gott bekehrt.

In Israel hat diese Entwicklung des Glaubens so etwas wie eine Weichenstellung bewirkt. Jedenfalls hat sich die Vorstellung vom auserwählten Volk in einem qualitativen Sinn insofern geändert, als nun der einzelne Mensch noch in einer viel direkteren Weise vor Gott verstanden wird. In dieser Tradition ist auch vieles im Leben und Wirken Jesu verständlich. Auch er wendet sich dem einzelnen Menschen zu. Das bedeutet nicht die Schwächung oder gar Auflösung der Gemeinschaft, der Gemeinde, sondern bringt „ich“ und „wir“ in ein Gleichgewicht. So wie heute in jedem Gottesdienst das Glaubensbekenntnis zwar gemeinsam, also als Gemeinde gesprochen wird, aber doch immer in den Worten „Ich (und nicht: wir!) glaube…“
Bei Hesekiel kommt oft die Anrede vor „Du Menschenkind“ (20,3). Wohlgemerkt: Das ist die Anrede, mit der Gott den Propheten anredet! Das klingt in heutigen Ohren schon sehr nach dem „Menschensohn“ des Neuen Testamentes. Und wie das Pendant „Gottessohn“. Bei Hesekiel folgt dieser Anrede immer ein Wort Gottes. Gott legt sein Wort in Menschenmund! Nur so ist es für Menschen zugänglich und verständlich.

Ist Hesekiel deswegen „Gottes Mund“, weil er bereit ist, als Mensch vor Gott zu stehen? Andererseits ist bei Hesekiels seine menschliche Gestalt immer wie abwesend, geradezu wie ausgelöscht. Er ist starr, wie es heißt (schon 3,15) und ganz Instrument Gottes. Man hat früher auch gemeint, dieses merkwürdige Erstarren sei möglicherweise Ausdruck einer Krankheit, etwa der Katalepsie, bei der Menschen lange in unbequemen und abnormen Körperhaltungen verbleiben. Der Prophet selbst hat diesen Zustand anders verstanden, und dabei mag es verbleiben.