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“Der Überläufer” – Zweiteiliges Kriegsdrama nach Siegfried Lenz

“Der Überläufer” ist ein frühes Kriegsdrama von Siegfried Lenz. In dem sehenswerten Zweiteiler geht es um Gewissen und Pflichtgefühl, eigene Verantwortung und Lebenshunger.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Ein von Florian Gallenberger 2020 inszenierter Zweiteiler nach dem 1951 entstandenen, aber erst posthum im Jahr 2016 publizierten gleichnamigen Roman von Siegfried Lenz. Im Mittelpunkt steht der Soldat Walter Proska (Jannis Niewöhner), der im Sommer 1944 an die polnische Front kommt, wo ihm Liebe und Schrecken zugleich widerfahren.

Der Schrecken begegnet ihm vor allem in Gestalt des Unteroffiziers Willi Stehauf (Rainer Bock). Nachdem der Zug, in dem Walter an die Front unterwegs ist, von Partisanen gesprengt wird, trifft er auf einen kleinen Trupp Soldaten, der von Stehauf mit irrer Hand kommandiert wird.

Die Liebe begegnet ihm in Gestalt von Wanda (Malgorzata Mikolajczak), in die er sich Hals über Kopf verliebt, obwohl sie auf der Seite der polnischen Partisanen kämpft. Als der Trupp, bei dem Walter dient, von Partisanen überfallen wird, erhält der junge Soldat die Chance, die Seiten zu wechseln.

Ein Epos über Krieg, Liebe und Gewissensentscheidungen, das visuell eher unauffällig erzählt ist, aber von sehr gut besetzten und überzeugend entwickelten Figuren lebt. Mit dabei sind unter anderem Bjarne Mädel, Florian Lukas, Katharina Schüttler, Alexander Beyer, Leonie Benesch und Ulrich Tukur. Sie demonstrieren eindrucksvoll, was der Krieg aus den Menschen macht.

Siegfried Lenz schrieb seinen Roman “Der Überläufer” im Jahr 1952. Darin geht es um die Sinnlosigkeit des Krieges und die Frage, was der Krieg mit den Menschen macht. “Was ist wichtiger, Pflicht oder Gewissen?”, fragt Lenz in seinem Buch. Und was bedeuten Freundschaft und Liebe in einer aus den Fugen geratenen Welt? Die Hauptfigur in Buch und Film ist der junge Wehrmachtssoldat Walter Proska, der 1944 nach einem Heimaturlaub an die Ostfront zurückkehrt, in einem desolaten Haufen verzweifelter Soldaten landet und in russische Gefangenschaft gerät.

“Der Überläufer” wurde erst nach dem Tod des Autors 2016 veröffentlicht. Der Verlag hatte damals Bedenken, ob ein Soldat, der eine Partisanin liebt, die Wehrmachtsuniform ablegt und zur Roten Armee überläuft, den Deutschen in den 1950er Jahren schon zuzumuten wäre. Heute gilt der Roman als literarische Sensation und als pazifistischer Gegenentwurf zum militärischen Ethos von Pflichterfüllung und Vaterlandsliebe.

Bernd Lange (Drehbuch) und Florian Gallenberger (Regie) hielten sich für ihren Zweiteiler, den der WDR am Stück zeigt, so eng wie möglich an die Romanvorlage, erweiterten aber die Rollen einzelner Figuren. So bekommt etwa die Liebesgeschichte mit einer Partisanin wesentlich mehr Raum.

Im ersten Teil lernt Walter Proska (Jannis Niewoehner) im Zug die polnische Partisanin Wanda Zielinsk (Malgorzata Mikolajczakin) kennen und lieben. Als sie plötzlich verschwindet und eine Bombe im Zug explodiert, überlebt er mit knapper Not und flüchtet. Er schließt sich einer kleinen Gruppe von deutschen Soldaten an, die in den sumpfigen Wäldern umherirren und sich gegenseitig schikanieren. Dort freundet er sich auch mit dem Kameraden Wolfgang Kürschner (Sebastian Urzendowsky) an, der ihn überredet, mit ihm zu den Russen überzulaufen.

Als die Rote Armee heranrückt, geraten sie in Gefangenschaft und wechseln die Seiten. Proska soll als Frontagitator der Roten Armee Wehrmachtssoldaten über Lautsprecher auffordern, sich zu ergeben. Doch glücklich wird er mit seiner Entscheidung nicht, denn er weiß, dass auch die Russen Überläufer verachten. Außerdem wird ihm klar, dass er zwar die Uniform gewechselt hat, aber zugleich von einem totalitären System in ein anderes geraten ist. .

Im zweiten Teil läuft der Soldat noch einmal über, berichtet Regisseur Florian Gallenberger. “Er flüchtet aus der sowjetischen Besatzungszone in den Westen.” Dort hofft er, mit Wanda, die er als Sängerin bei den Russen wiederfand, ein neues Leben beginnen zu können. Aber die gemeinsame Flucht misslingt.

Lange und Gallenberger verlängerten den Roman von Siegfried Lenz bis in die Gründerjahre der DDR und versahen den Film mit einem Epilog, in dem erzählt wird, was in den 1950er Jahren geschah. Der Zweiteiler sticht besonders hervor durch die sorgfältige Ausarbeitung und Besetzung der Nebenfiguren mit Schauspielern wie Rainer Bock, Bjarne Mädel, Florian Lukas, Katharina Schüttler, Alexander Beyer, Leonie Benesch und Ulrich Tukur. Sie demonstrieren eindrucksvoll, was der Krieg aus den Menschen macht.

Besonders die scharfsichtige Beobachtung der Charaktere, durch die sich Roman und Verfilmung auszeichnen, lassen den Film beklemmend aktuell erscheinen. Lenz, der das Manuskript sorgfältig aufbewahrt hatte, wäre mit der engagierten und weitgehend originalgetreuen Verfilmung sicherlich einverstanden gewesen. In dem bildstarken und bewegenden Film bleibt die Botschaft des Autors immer gegenwärtig. Lenz selbst kam wie seine Hauptfigur Walter Proska aus Lyck in Masuren und desertierte kurz vor Kriegsende nach Dänemark.