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Von Veit Hoffmann
Jetzt beginnt der sonnenlose Tunnel aus Nebel, Regen, Eis und Schnee. Es ist der November-Tunnel. Vielen Menschen geht das dunkle Wetter auf das Gemüt. Besonders trauernde Menschen haben es nun schwer. Wer trauert fühlt sich oft wie in einem Tunnel. Nirgendwo ein Fenster, kein Ausblick, keine Tür. Aber Sehnsucht ist da. Sehnsucht nach einem Menschen, der nicht mehr da ist, manchmal auch Sehnsucht nach sich selbst. Etwas fehlt. Trauer engt ein, wie in einen Tunnel. Sie lässt innerlich frieren und kann schmerzhaft sein. Die Seele schreit: „Ich schreie zum Herrn, meinem Gott, mit meiner Stimme, ich flehe zum Herrn mit meiner Stimme. Ich schütte meine Klage vor ihm aus und zeige an vor ihm meine Not. Herr, höre auf meine Plage, denn ich werde sehr geplagt, errette mich … führe mich aus dem Kerker, dass ich preise deinen Namen.“ So spricht der 142. Psalm über Trauer, Klage, Qual und Schmerz. Durch die Jahrtausende, durch die Geschichte aller Völker, durch das Leben unserer Vorfahren, unserer Eltern und durch unser Leben zieht sich dieser dunkle Tunnel. Wir kennen das Gefühl der Trauer, das schon in der Kindheit beginnt. Es gehört ebenso zu unserem Menschsein wie die Freude, das Glück und die Liebe. Das Leben spielt auf der Klaviatur der menschlichen Gefühle. Es schlägt die hohen und die tiefen Töne an. Wenn eine Saite in uns gerissen ist kommt es zu Misstönen. Wohl dem Menschen, der dann trauern kann! Denn Gleichgültigkeit, Stumpfsinn, Zynismus oder leichtfertiges Wegdrängen sind nicht Ausdruck des Menschseins, sondern des Gegenteils. Erlebte und durchlebte Trauer hingegen kann menschlicher machen, wenn sie bewusst verarbeitet wird. Solch ein Mensch wird nicht gedankenlos und gleichgültig am Leid anderer vorbeigehen sondern mit Verständnis reagieren. Am 23. November ist Totensonntag, der Gedenktag an die Verstorbenen. In unseren Gottesdiensten werden wir ihre Namen verlesen. Es werden über 180 Namen sein. Für manche Trauernden war es eine gute Erfahrung, nicht alleine am Grab gestanden zu haben, als der Sarg heruntergelassen wurde. Trauer braucht Anteilnahme und Wegbegleitung. Auch wenn es nur eine kurze Strecke ist. Nicht wenige Menschen sagen, dass sie all das Schwere, was sie erlebt haben nicht missen wollen. Das heißt nicht, dass sie jene Zeiten noch einmal erleben möchten. Sie haben vielmehr im nachhinein erkannt, dass sie diese schwere Zeit mit Gottes Beistand bewältigt haben. Sie ist Bestandteil ihrer Persönlichkeit, ihres Denkens, ihrer Mitmenschlichkeit geworden. Aus dem sonnenlosen Tunnel ist eine feste Burg geworden mit stabilem Fundament.