Die Stadt Murfreesboro im US-Bundesstaat Tennessee wollte sich mit einer Kampagne für “Sitte und Anstand” in der Öffentlichkeit als besonders konservativ profilieren. Doch das ging nach hinten los.
Am Ende musste sich der Stadtrat von Murfreesboro geschlagen geben. Der Versuch der republikanischen Mehrheit, Homosexualität per Verordnung aus der Öffentlichkeit der 150.000-Einwohner-Stadt zu verbannen, scheiterte vor Gericht. Doch bis dahin machte Murfreesboro monatelang Schlagzeilen mit seinem beharrlichen Eintreten für “öffentlichen Anstand”.
Der wird im Herzen des protestantisch geprägten US-Südstaats Tennessee groß geschrieben. Die Menschen in der Gegend lieben Country-Musik, und der Begriff “Hillbilly” (Landei) gilt nicht als Schimpfwort, sondern eher als Auszeichnung. Um die konservative Ordnung zu wahren, erließ die Stadt ein Dekret, das “unsittliches Verhalten” verbieten sollte.
Doch was genau war damit gemeint? Die entsprechende Verordnung verwies in dieser Frage auf einen erläuternden Passus in der Stadtverfassung. Und der wurde zum Stein des Anstoßes für die landesweite LGBTIQ+-Community. Denn in dem jahrzehntealten Passus wurden als unerwünschte Beispiele nicht nur öffentliches Masturbieren, Exhibitionismus und Ähnliches genannt. Auch “Homosexualität” stand auf der Liste der als “unsittlich” zu wertenden Tatbestände, wie die bekannte Transgender-Aktivistin Erin Reed bei Recherchen herausfand.
Es folgten ein Aufschrei der Empörung und ein handfester Rechtsstreit: Zwei einflussreiche Organisationen, die “American Civil Liberties Union” und das “Tennessee Equality Project”, gingen gegen das indirekte Homosexualitäts-Verbot vor. Mit Erfolg: Ein Gericht gab ihnen kürzlich recht. Die städtische Liste der unsittlichen Verhaltensweisen musste geändert werden – “Homosexualität” wurde gestrichen. Doch damit geben sich die Kläger nicht zufrieden. In einem nächsten Schritt wollen sie die Anstandsverordnung als Ganzes kippen.
Murfreesboro ist nicht der einzige Ort in den USA, wo solche Kulturkämpfe ausgefochten werden. In den vergangenen Jahren haben republikanische Regierungen in mehreren Bundesstaaten Gesetze verabschiedet, um das aus ihrer Sicht ausufernde Treiben sexueller Minderheiten einzuschränken. Sie erließen unter anderem Vorgaben gegen Transgender-Sportler, geschlechtsneutrale Toiletten und Dragshows.
Tennessee ist in dieser Hinsicht besonders rigoros. Der von konservativen Evangelikalen dominierte Staat mit rund sieben Millionen Einwohnern hat seit 2015 mehr als ein Dutzend solcher Gesetze auf den Weg gebracht. Vor allem in Murfreesboro wird davon rege Gebrauch gemacht. Doch wiederholt rief die Justiz die Stadt in ihrem Eifer zurück. So misslang im Oktober der Versuch, das in der Schwulenszene beliebte “BoroPride Festival 2023” zu unterbinden.
Ein Gericht bestätigte den Veranstaltern ihr Recht, die für etliche Bürger anstößig wirkende Parade abzuhalten. In seinem Urteil gab es zu bedenken, dass die US-Verfassung keine Grundlage biete, um sexuell explizite Darstellungen in der Öffentlichkeit umfassend zu verbieten.
Hinter der konservativen Kampagne von Murfreesboro steckt nicht zuletzt die “Alliance Defending Freedom” (ADF). Die 1994 von evangelikal-fundamentalistischen Protestanten gegründete Organisation hat sich in erster Linie den Kampf gegen Abtreibung auf die Fahnen geschrieben. Aber auch die Rechte von LGBTIQ+-Personen, also von Lesben, Schwulen, Bi-, Trans-, Intersexuellen, Queeren sowie Menschen sonstiger Geschlechtsidentitäten, sind zur Zielscheibe der ADF geworden.
Der aktuelle Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Mike Johnson, arbeitete jahrelang für die Gruppe. Zu seinen Ausgaben gehörte auch das Sammeln von Spenden für medienwirksame Kampagnen wie nun in Murfreesboro.
Dabei gerieten zuletzt öffentliche Bibliotheken verstärkt in den Fokus. So unterzeichnete der republikanische Gouverneur von Tennessee, Bill Lee, vor einigen Monaten ein Gesetz, das “obszöne” Bücher aus Schulbibliotheken verbannen sollte. Weil unklar blieb, was genau unter “obszön” zu verstehen sei, ergab sich mancherorts ein Auslegungsproblem. In Murfreesboro führte die Regelung dazu, dass selbst Erwachsene bestimmte “unsittliche Literatur” nicht mehr in der Stadtbibliothek ausleihen konnten. Auch dies wird ein gerichtliches Nachspiel haben.